Hinweise zum wissenschaftlichen Arbeiten

Arbeitsgruppe Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung 
Prof. Dr. Christoph A. Rass
[IMIS] [SFB1604] [HistOS]

1. Grundprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens

Die vier Säulen guter wissenschaftlicher Praxis (DFG-Standards)

Ehrlichkeit

  • Strikte Transparenz in Bezug auf eigene und fremde Beiträge
  • Korrekte und vollständige Anerkennung fremden geistigen Eigentums
  • Offenlegungen von Methoden und Ergebnissen

Sorgfalt

  • Arbeiten nach anerkannten Regeln der Geschichtswissenschaft (lege artis)
  • Gründliche Quellenkritik und methodische Strenge
  • Präzise Dokumentation des Forschungsprozesses

Dokumentation

  • Nachvollziehbare Aufzeichnung aller Forschungsschritte
  • Vollständige Quellenangaben und Literaturverweise
  • Archivierung von Forschungsdaten nach FAIR-Prinzipien

Kritische Selbstreflexion

  • Systematisches Hinterfragen eigener Befunde
  • Bewusstsein für die eigene Standortgebundenheit
  • Offenheit für alternative Interpretationen


2. Besonderheiten der Geschichtswissenschaft

Objektivität und Subjektivität

Geschichte ist immer eine Konstruktion aus der Gegenwartsperspektive:

  • Vergangene Ereignisse sind nicht direkt beobachtbar
  • Historiker interpretieren und erzählen, sammeln nicht nur Fakten
  • "Disziplinierte Phantasie" ist erforderlich - kreative Interpretation auf empirischer Basis
  • Subjektivität wird durch methodische Strenge und Transparenz "objektiviert"

Narrativität in der Geschichtsschreibung

  • Geschichte wird in Form von Narrativen (Geschichtserzählungen) dargestellt
  • Unterschied zu fiktionalem Erzählen: Anspruch auf überprüfbare Rekonstruktion
  • Narrative verbinden vereinzelte Sachverhalte zu sinnhaften Ereignisfolgen
  • Sie erklären, wie sich historische Entwicklungen vollzogen haben


3. Methodische Standards (Neueste Geschichte)

Quellenkritik - Das Herzstück geschichtswissenschaftlicher Forschung

Äußere Quellenkritik 
  • Material und Form: Herstellungsart, Materialwahl, physische Beschaffenheit
  • Überlieferung: Wie ist die Quelle zu uns gekommen?
  • Vollständigkeit: Ist die Quelle vollständig erhalten?
  • Echtheit: Stimmt der angegebene Urheber?
Innere Quellenkritik 
  • Nähe zum Ereignis: Zeitliche und geografische Distanz
  • Autorenwissen: Was konnte der Autor über die Ereignisse wissen?
  • Intention: Was wollte der Autor berichten? Welche Absichten verfolgte er?
  • Tendenzen: Welche Einfärbungen sind aufgrund der Perspektive zu erwarten?
Digitale Quellenkritik (neue Herausforderung)
  • Volatilität: Digitale Quellen können leicht verändert oder gelöscht werden
  • Metadaten: Technische Informationen über Entstehung und Bearbeitung
  • Manipulierbarkeit: Erhöhte Gefahr von Fälschungen
  • Langzeitarchivierung: Wie wird dauerhafte Verfügbarkeit gesichert?

Spezifische Methoden der Neuesten Geschichte (exemplarisch)

Oral History und Zeitzeugeninterviews

Standards:

  • Freies Erzählen der Zeitzeugen ermöglichen
  • Audio-/Videoaufzeichnung mit anschließender Transkription
  • Gründliche Vorbereitung des Interviews
  • Nachbearbeitung zur Klärung von Widersprüchen

Herausforderungen:

  • Zeitzeugen erzählen persönliche Sichtweisen, nicht "objektive Geschichte"
  • Aussagen müssen quellenkritisch behandelt werden (wie Autobiografien)
  • Interpretation liegt allein bei den Forschenden
  • Transparenz gegenüber den Zeitzeugen über Verwendungszweck
Digital History
  • Integration klassischer historischer Fragestellungen mit informatischen Methoden
  • Digitalisierung und Kuratierung historischer Quellen
  • Text und Data Mining für große Datenmengen
  • Visualisierung von Forschungsergebnissen
  • Semantic Web-Technologien


4. Ethische Standards und Datenschutz

Umgang mit sensiblen Quellen

Besondere Vorsicht bei:

  • Persönlichen Tragödien oder traumatischen Erfahrungen
  • Gesundheitszuständen von noch lebenden Personen
  • Informationen, die zur Retraumatisierung führen könnten

Grundsätze:

  • Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrechten
  • Vermeidung unnötiger Details bei sensiblen Themen
  • Bewusste Einwilligung der Befragten einholen

Datenschutz (DSGVO-konform)

  • Einwilligung: Bewusste und informierte Zustimmung erforderlich
  • Anonymisierung: Namen und identifizierende Angaben bei Veröffentlichungen schützen
  • Persönlichkeitsrechte: Schutzwürdige Daten nicht verbreiten
  • Archivmaterial: Auch bei bereits archivierten Interviews Persönlichkeitsrechte beachten


5. Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Hauptformen wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Plagiat
  • Vollplagiat: Komplette Übernahme fremder Arbeiten
  • Teilplagiat: Übernahme einzelner Abschnitte ohne Kennzeichnung
  • Übersetzungsplagiat: Übersetzte fremde Texte als eigene ausgeben
  • Copy-Paste-Plagiat: Übernahme von Student*innenarbeiten
Selbstplagiat (Textrecycling)
  • Wiederverwendung eigener Texte ohne Kennzeichnung
  • Vortäuschung von Neuheit/Originalität
  • Erlaubt nur bei: Erkennbarem Mehrwert und Absprache mit Betreuung
Datenfälschung
  • Erfinden von Daten oder Ergebnissen
  • Manipulation von Quellen oder Darstellungen
  • Verschweigen widersprechender Befunde

Korrekte Zitierweise

Grundregel

Sobald Informationen, Gedanken, Zitate oder Formulierungen verwendet werden, die nicht vom Verfasser stammen, muss der Urheber angegeben werden.

Direkte Zitate
  • Wortwörtliche Übernahme in Anführungszeichen
  • Fehler im Original mit "[sic]" kennzeichnen
  • Exakte Seitenangabe erforderlich
Indirekte Zitate
  • Zusammenfassung in eigenen Worten
  • Kennzeichnung mit "vgl." oder "siehe"
  • Seitenangabe erforderlich
Nachweis eigener Vorarbeiten
  • Bei Wiederverwendung eigener Texte: Verweis auf frühere Veröffentlichung
  • Bedingung: Neue Informationen oder erkennbarer Mehrwert
  • Absprache mit Betreuung empfohlen


6. Praktische Hinweise 

Themenfindung und Forschungsdesign

Kriterien für die Themenwahl:

  • Relevanz: Wissenschaftlich bedeutsam und interessant
  • Machbarkeit: Verfügbarkeit von Quellen prüfen
  • Persönliches Interesse: Motivation für intensive Beschäftigung
  • Zeitrahmen: Realistisch für verfügbare Zeit

Fragestellung:

  • Präzise und schlüssige Formulierung
  • Leitet das gesamte Untersuchungsprogramm
  • Berücksichtigung der Quellenverfügbarkeit

Recherche und Literaturverwaltung

Empfohlene Tools:

  • Citavi oder ähnliche Literaturverwaltungssoftware
  • Von Anfang sorgfältige und systematische Dokumentation und Auswertung 
  • Direkte Hinterlegung von Quellennachweisen
  • Vollständige Dokumentation von Verweisen auf Forschungsliteratur

Qualitätskriterien:

  • Qualität von Publikationsorganen prüfen
  • Publikationen mit Peer-Review-Verfahren bevorzugen
  • Auf wissenschaftliche Standards achten

Struktur wissenschaftlicher Arbeiten

Einleitung (ca. 10% des Gesamtumfangs)
  • Relevanz des Themas erläutern
  • Fragestellung klar formulieren
  • Methodisches Vorgehen beschreiben
  • Theoretische Fundierung
  • Forschungsstand
  • Quellenlage
  • Aufbau der Arbeit skizzieren

Hauptteil

  • Detaillierte Darstellung
  • Analyse und Interpretation
  • Divergierende Forschungsmeinungen berücksichtigen
  • Kontroversen ansprechen
  • Quellen kritisch auswerten

Schluss (ca. 10% des Gesamtumfangs)

  • Befunde zusammenfassen
  • Ausblick auf weitere Forschung
  • Keine neuen Argumente einführen

Formalia

  • Vollständige Fußnoten für alle Quellenangaben
  • Präzise Überschriften
  • Grammatikalisch korrekte Sprache
  • Konjunktiv bei indirekter Rede

Sprachliche Gestaltung

Wissenschaftlicher Stil:

  • Vollständige, grammatikalisch korrekte Sätze
  • Vermeidung von Pauschalisierungen
  • Keine unbegründeten Wertungen
  • Präzise Fachterminologie

Abgrenzung eigener und fremder Gedanken:

  • Konjunktiv bei Wiedergabe fremder Positionen
  • Klare sprachliche Signale für Perspektivenwechsel
  • Sparsamer, aber pointierter Einsatz von Zitaten


7. Umgang mit besonderen Herausforderungen

Historische Distanz 

Bewusstsein für:

  • Eigene Standortgebundenheit reflektieren
  • Konstruktionscharakter historischer Narrative
  • Einfluss der Gegenwartsperspektive auf Interpretation
  • Gefahr politischer Instrumentalisierung

Interdisziplinäre Ansätze

Offenheit für:

  • Methoden aus anderen Disziplinen
  • Digital Humanities und informatische Ansätze
  • Statistische Verfahren bei geeigneten Fragestellungen
  • Kooperation mit Nachbardisziplinen


8. Präventive Maßnahmen und Selbstkontrolle

Technologische Hilfsmittel

Empfohlene Maßnahmen:

  • Eigene Plagiatsprüfung vor Abgabe
  • Verwendung von Plagiatssoftware (auch für Selbstplagiate)
  • Regelmäßige Sicherung der Literatursammlung
  • Dokumentation des Arbeitsprozesses

Beratung und Unterstützung

Bei Unsicherheiten:

  • Frühzeitige Rücksprache mit Betreuung
  • Nutzung von Sprechstunden
  • Kontakt zu Ombudspersonen bei Problemen
  • Teilnahme an Methodenkursen


9. Konsequenzen bei Verstößen

Prüfungsrechtliche Folgen

  • Nichtbestehen der Prüfung (Note 5,0)
  • Wiederholung der Arbeit erforderlich
  • Im Wiederholungsfall nicht Bestehen eines Moduls

Schwerwiegende Fälle

  • Exmatrikulation möglich
  • Aberkennung akademischer Grade
  • Zivilrechtliche Ansprüche (bei Urheberrechtsverletzung)


10. Wichtige Kontakte und Ressourcen

Universität Osnabrück

Nützliche Links


Hinweis: Diese Anleitung basiert auf den aktuellen Standards der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den besonderen Anforderungen der Geschichtswissenschaft. Bei Fragen oder Unsicherheiten wenden Sie sich bitte an die Betreuung Ihrer Arbeit oder die entsprechenden Beratungsstellen der Universität.

Stand: Juni 2025