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Von sechs Gemeinden zu einer Stadt

Georgsmarienhütte als Spiegel der 1960er Jahre

Uni Osnabrück erforscht Gründungsphase der Stadt von 1965-1970 – Jubiläum in drei Jahren soll Bürgern ihre Stadtgeschichte nahe bringen

© Foto / Robin Morrison

Freuen sich über das Projekt: Andreas Pohlmann, Inge Becher und Christoph Rass (v.l.)

Georgsmarienhütte: Heute mit rund 32.500 Einwohnern ein Mittelzentrum im südlichen Landkreis Osnabrück, entstand die Stadt 1970 im Zuge der Gebietsreform durch Zusammenschluss von sechs bis dahin selbständigen Gemeinden. Wie ließen sich die Ratsleute der nicht unbedingt gewillten Gemeinden damals überzeugen, ihre Selbstständigkeit aufzugeben? Und welchen Spiegel der Gesellschaft in der Bundesrepublik der 1960er Jahre bietet dieses Ereignis? Unter anderem mit diesen Fragen beschäftigt sich Inge Becher, eine der beiden Doktorandinnen im Projekt "50 Jahre Georgsmarienhütte - Innovative Heimatpflege durch Wissenstransfer". Es wurde gemeinsam von der Stadt und Prof. Dr. Christoph Rass, Experte für "Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung“ an der Universität Osnabrück, entwickelt.

"Wir haben als Wissenschaftler nicht oft die Möglichkeit, die Folgen einer Stadtgründung in der Neuzeit zu untersuchen. Daher ist das ein sehr interessantes Thema - auch im Hinblick einer Entwicklung von Modellen von Stadtwerdung", erläuterte Rass bei der Vorstellung des Projekts gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) im Januar. Ein guter Grund also, der Stadt Georgsmarienhütte zuzusagen, die Aufarbeitung ihrer Entstehung wissenschaftlich zu begleiten. Laut Bürgermeister Ansgar Pohlmann soll das 50-jährige Bestehen im Jahr 2020 nicht nur in der traditionellen Form eins Festakts gefeiert werden, sondern den Bürgerinnen und Bürger soll die Stadt auch unter anderen, neuen Aspekten nahe gebracht werden. Die Stadt unterstützt die Universität Osnabrück mit Stipendien für die Promovenden.

Inge Becher beschäftigt sich mit dem Aushandlungsprozess, der unmittelbar zur Gründung der Stadt geführt hat. Dieser fand rund zwei Jahre vor dem offiziellen Beginn der Gebietsreform statt. "Trotz großer Probleme waren die meisten der Gemeinden vor der Gebietsreform vollkommen davon überzeugt, ihre immer aufwändiger werdenden Aufgaben der Daseinsvorsorge allein und selbständig bewältigen zu können. Ohne den mehr oder weniger sanften Druck von außen wäre keine Gemeinde zum Zusammenschluss bereit gewesen", fasst die in Osnabrück und Konstanz ausgebildete Historikerin ihren ersten Eindruck zusammen. "Wie die Ratsleute sich trotzdem überzeugen ließen, ihre Selbstständigkeit und damit ihren Gemeindenamen aufzugeben, ist verhandlungstheoretisch interessant und gibt tiefere Einblicke nicht nur in das Selbstverständnis von Bürgerinnen und Bürgern in den betroffenen Gemeinden des Dütetals, sondern auch in gesellschaftliche Befindlichkeiten der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre", so Becher weiter.

Besonderes Augenmerk legt sie auf die Rolle der Industrie. Innerhalb einer der Gemeinden befindet sich bis heute ein Stahlwerk mit damals 6.500 Beschäftigten. Bisher war Becher von einer großen Einflussnahme des dreiköpfigen Werksdirektoriums auf den Aushandlungsprozess ausgegangen. Diese erweist sich tatsächlich aber als erheblich geringer als erwartet. Die Rolle des Werkes als Gewerbesteuerzahler und größter Arbeitgeber im Dütetal hatte allerdings auch ohne viel Zutun der Werksleitung großes Gewicht. "Dass die neue Gebietskörperschaft am Ende den - nicht von allen geliebten Namen - ´Georgsmarienhütte` erhielt, ist allein dem Werk geschuldet," zieht Inge Becher ein erstes Resümee ihrer Archivarbeit.

Noch am Anfang steht das Projekt des Stipendiaten Jan-Hendrik Bredfeldt, der sich mit der Entwicklung der Stadt bis zum 25-jährigen Jubiläum 1995 beschäftigten wird. "Besonders spannend an diesem Projekt finde ich, dass sich Auswirkungen von globalen Ereignissen im lokalen Raum erforschen lassen. Die Stahlkrisen beispielsweise hatten konkrete Auswirkungen auf die Stadt und formten dort die Politik und damit auch den städtischen Raum" berichtet Bredfeldt nach den ersten Aktenstudien. Doch er will sich in seiner Arbeit nicht nur auf die Betrachtung der wirtschaftlichen Strukturen beschränken, denn die Veränderungen infolge der Stadtgründung werden an vielen Stellen des städtischen Lebens sichtbar.