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Pressemeldung

Nr. 33 / 2022

08. Juni 2022 : Leben in einer Barackensiedlung – Studierende entwickeln digitale Ausstellung

Eine digitale Ausstellung von Studierenden der Uni Osnabrück ermöglicht umfassende Einblicke in die Geschichte der sogenannten „Papenhütte“, einer ehemaligen Baracken-Siedlung in Osnabrück. Sie ist vielen alteingesessenen Osnabrückerinnen und Osnabrücker bis heute ein Begriff: Mit ihr wird Unordnung, Schmutz und teilweise auch Gefahr in Verbindung gebracht. Doch woher stammen diese Assoziationen? Studierende der Universität Osnabrück unter Leitung des Historikers Prof. Dr. Christoph Rass haben auf diese Frage versucht, Antworten zu finden. Zur Ausstellung: https://osnabrueck.nghm-uos.de/exhibits/show/papenhuette/die_papenhuette  

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde jenseits des damaligen Stadtrands im heutigen Osnabrücker Stadtteil Eversburg ein ‚Obdachlosenheim‘ gebaut und kontinuierlich erweitert. In der direkten Umgebung entstand eine Siedlung, in der Menschen unterkamen, die sich keinen Wohnraum in der Stadt leisten konnten oder dort gesellschaftlich schlicht nicht erwünscht waren. Im Laufe der 1920er Jahre wuchs eine Barackensiedlung, für die sich die Bezeichnung „Papenhütte“ einbürgerte.

Beteiligt an der Konzeption und Umsetzung der Ausstellung waren die Studierenden Julia Arnold, Anna Gramann, Simon Hellbaum, Kate Mulley, Amelie Pohlmann, Jonathan Roters und Tatjana Rykov im Rahmen des Seminars „Lager als Konfliktlandschaften der Gewaltmigration: Perspektiven auf gewaltinduzierte Mobilität im Kontext des Zweiten Weltkrieges“. 

Neben der Auswertung schriftlicher Quellen haben die Studierenden auch Interviews geführt, unter anderem mit Mario Franz, der seine Kindheit in der Siedlung zubrachte und auch über die dort erfahrene Ausgrenzung berichtet. Das didaktische Ziel für die Studierenden lag insbesondere darin, praktische Erfahrungen im Bereich der digitalen Museums- und Ausstellungspädagogik zu erlangen. 

Zum thematischen Hintergrund: Wie in vielen Ländern gibt es auch in Deutschland eine lange Geschichte von Ausschluss und Stigmatisierung von Menschen mit niedrigem sozialen und ökonomischen Status. In der Vergangenheit wurden Menschen und Gruppen, die aufgrund von Sprache oder Lebensgewohnheiten als „Fremde“ wahrgenommen wurden, oft an Orte wie die „Papenhütte“ abgeschoben, wenn ihre „Nützlichkeit“ in Frage stand. In der NS-Zeit avancierte die Idee einer imaginierten deutschen „Volksgemeinschaft“ zum Leitbild und verstärkte gesellschaftliche Exklusionen. Bereits vor und verstärkt während der NS-Zeit entstanden staatlich geplante Siedlungen, um als „asozial“ markierte und stigmatisierte Menschen an segregierten Punkten zu konzentrieren. Ein solcher Ort der gesellschaftlichen Ausgrenzung war die „Papenhütte“ in Osnabrück. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebten Menschen noch über Jahre in Baracken, Nissenhütten oder baufälligen Häusern, bis sich die Stadt in den 1950er Jahren dazu entschloss, Schlichtbauwohnungen in der Siedlung zu errichten. In den 1970er und 1980er Jahren wurde aus dem Gelände ein Gewerbegebiet. Aber noch bis in die 1980er Jahre lebten in der „Papenhütte“ ökonomisch und sozial benachteiligte Familien, die von sozialer Teilhabe weitgehend ausgeschlossen wurden. 

„Die Geschichte der Osnabrücker ‚Papenhütte‘ zeigt, wie Ideen von Armen- und Sozialfürsorge auf Praktiken von Exklusion und Marginalisierung treffen. Wir können Studierenden so ganz konkret zentrale Prozesse der deutschen und auch europäischen Geschichte und zugleich Kompetenzen in digitaler public history vermitteln“, erklärt Historiker Dr. Sebastian Bondzio von der Universität Osnabrück, der die Redaktion des Projekts im Vorfeld der Veröffentlichung geleitet hat. „Zu diesen Prozessen zählen auch Themen wie Migration und der Umgang einer Mehrheitsgesellschaft mit marginalisierten Gruppen wie den Sinti und Roma bzw. mobil lebenden Menschen allgemein.“ 

Neben dieser nationalen bzw. globalen Dimension steht in der Ausstellung ein Stück Stadtgeschichte beispielhaft für zahlreiche mit ihr verbundene Biographien Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger. In der digitalen Ausstellung finden sich deshalb chronologisch geordnete Seiten zur „Papenhütte“, an den entsprechenden Stellen aber eben auch Hintergründe zu zentralen Begriffen, überregionalen Entwicklungen und Biographien von Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Besucherinnen und Besucher können auf Fotografien, Audio- und Videodateien sowie Quellenmaterialen klicken, um sich weitere Informationen anzeigen zu lassen. 

„Obwohl die ‚Papenhütte‘ zur Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts gehört und noch viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen leben, gibt es nur sehr wenig Quellen und wissenschaftliche Literatur zu ihrer Geschichte und der ihrer Bewohnerinnen und Bewohner“, so Prof. Dr. Christoph Rass. „Wir holen mit solchen Projekten fast vergessene Orte zurück in das Bewusstsein. Unsere Ausstellungen sind dabei natürlich immer nur Rekonstruktions- und Deutungsangebote auf der Grundlage verfügbarer Quellen.“ Die Arbeit der Studierenden zeige indes, wie viel Material sich auch über periphere und wenig bekannte Orte finden und heben lässt. 

Digitale Ausstellung „Die ‚Papenhütte‘ – Ein Ort gesellschaftlicher Ausgrenzung in Osnabrück 1911 bis 1985“: https://osnabrueck.nghm-uos.de/exhibits/show/papenhuette/die_papenhuette

Weitere Informationen für die Redaktionen:
Dr. Sebastian Bondzio, Universität Osnabrück 
Historisches Seminar
Schloßstraße 11, 49076 Osnabrück
Tel.: +49 541 969 4127
​​​​​​​sebastian.bondzio@uni-osnabrueck.de