Hauptvorträge

Als renommierte Expert:innen konnten Prof. (i.R.) Dr. Hans-Christoph Koller (Universität Hamburg), Prof.in Dr. Judith Frohn (Bergische Universität Wuppertal), Prof. Dr. Jörg Thiele (Technische Universität Dortmund) und Prof. Dr. Christian Gaum (Ruhr-Universität Bochum) für Hauptvorträge gewonnen werden.

Prof. Dr. Hans-Christoph Koller | Donnerstag, 27. November 2025

Bildung als Transformation. Zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs (und deren möglicher Bedeutung für die Sportpädagogik)

Die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse stellt einen Versuch dar, den klassischen Bildungsbegriff so neu zu fassen, dass er sowohl den soziokulturellen Herausforderungen heutiger Gesellschaften gerecht wird als auch dem aktuellen Stand erziehungswissenschaftlicher Debatten Rechnung trägt. Kurz gefasst besagt das Konzept, dass Bildung als ein Transformationsprozess verstanden werden kann, der durch Krisenerfahrungen ausgelöst wird, für deren Bearbeitung die etablierten Welt- und Selbstbezüge nicht mehr ausreichen, und bei dem sich die Art und Weise, wie wir uns zur Welt, zu anderen und zu uns selber verhalten, nachhaltig verändert.

Dieses Konzept ist in der Erziehungswissenschaft auf ein relativ breites Echo gestoßen, das neben viel Zustimmung auch kritische Anfragen umfasst. Ein Vorwurf etwa besagt, dass in der Theorie transformatorischer Bildungsprozesse bei der begrifflichen Erfassung von Welt-, Anderen- und Selbstverhältnissen dem Körper bzw. der leiblichen Dimension zu wenig Beachtung geschenkt worden sei. Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Frage, welche Bedeutung dem Konzept im Blick auf das pädagogische Handeln zukommt. In der Tat ist in den meisten bisherigen Beiträgen zur Theorie transformatorischer Bildungsprozesse die leibliche Dimension von Bildung ebenso unterbelichtet geblieben wie Frage nach den Konsequenzen des Konzepts für das pädagogische Handeln. Aus diesem Grund werden in diesem Vortrag einige Überlegungen zur Bedeutung des Körpers im Rahmen transformatorischer Bildung sowie zur praktischen Relevanz dieser Theorie vorgestellt. Dem Kontext der Tagung entsprechend wird dabei das pädagogische Handeln im Sportunterricht im Zentrum stehen.

Um die Grundlage dieser Überlegungen zu erläutern, werden zuvor in gebotener Kürze Grundannahmen und zentrale Fragestellungen der Theorie transformatorischer Bildungsprozesse skizziert und ein Einblick in die theoretischen Konzepte gegeben, auf die sich die Theorie stützt.

Prof. Dr. Judith Frohn | Freitag, 28. November 2025

Ungleichzeitigkeiten in Diversitätsdiskursen – ein sportdidaktischer Positionierungsversuch

Die zugeschriebene und vermeintlich zunehmende Diversität in der Gesellschaft und damit auch in Schule gilt vielfach als eine besondere Herausforderung und verlangt nach „Lösungen“. Auch Sportlehrpersonen sind mit der Verschiedenheit der Lernenden konfrontiert und empfinden dies z. T. als eine unterrichtliche Erschwernis. Auch wenn ein Ignorieren vielfältiger Lernvoraussetzungen in der sportunterrichtlichen Praxis zu finden ist, ist die Förderung aller Schüler*innen sowohl schulgesetzlich verankert als auch fachdidaktisch angezeigt. Allerdings scheint es ein gefühltes „Zuviel“ an Diversität zu geben, was z. T. durch gesellschaftliche Diskurse befeuert wird, wie jüngst die bildungspolitischen Debatten zu Obergrenzen von Heranwachsenden mit Migrationsgeschichte oder eine als zu hoch empfundene Anzahl von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einzelnen Klassen zeigen. Empirisch wird dies beispielsweise an einer kritischen Einstellung gegenüber der Umsetzung von Inklusion deutlich (Robert Bosch Stiftung, 2024). Der Anspruch eines professionellen Umgangs mit Diversität kollidiert mit als unzureichend wahrgenommenen Rahmenbedingungen in einem Spannungsfeld divergenter Erwartungen.

Gleichzeitig liegen komplexe theoretische Diskurse zu Ungleichheitsverhältnissen und Diskriminierungen im Sport, empirische Erkenntnisse zur (De)Konstruktion pädagogisch relevanter machtvoller Differenzverhältnisse und zu verschiedenen diversitätsbezogenen Facetten des Schulsports sowie konzeptionelle Ansätze zum Umgang mit Differenzkategorien im Sportunterricht vor. Bislang findet jedoch dieses Wissen nur vereinzelt den Weg in die sportpädagogische Praxis und es ist zu befürchten, dass es angesichts diversitätsfeindlicher gesellschaftlicher Strömungen, in denen die (wissenschaftliche) Thematisierung von Diskriminierungen als „woke Identitätspolitik“ unter Generalverdacht steht, nicht einfacher wird, sich für bisher marginalisierte Gruppen im (Schul)Sport einzusetzen.

Diese Gemengelage ungleichzeitiger (Schmieder, 2017) Diversitätsdiskurse soll im Vortrag differenziert betrachtet und vor dem Bildungsanspruch des Schulsports reflektiert werden. Ob auf konzeptioneller Ebene eigene Überlegungen zu einem differenzreflexiven Schulsport in Anlehnung an Klenk (2019) eine Antwort auf den Transformationsdruck sein können, soll zur Diskussion gestellt werden.

 

Klenk (2019). Auf den Spuren einer gender- und differenzreflexiven Didaktik – nicht nur in der Informatik. In D. Kergel & B. Heidkamp (Hrsg.), Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre. Springer VS.

Robert Bosch Stiftung (2024). Deutsches Schulbarometer: Befragung Lehrkräfte. Ergebnisse zur aktuellen Lage an allgemein- und berufsbildenden Schulen. Robert Bosch Stiftung.

Schmieder, F. (2017). Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zur Kritik und Aktualität einer Denkfigur. Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie, 4(1-2), 325-363.

Prof. Dr. Jörg Thiele | Freitag, 28. November 2025

Der Fall Digitalisierung – Sportpädagogische Praxis unter Transformationsdruck?

Der Titel des Vortrags greift das Tagungsthema bewusst auf und versucht, die gestellte Frage aus Sicht des Vortragenden zu beantworten. Dazu soll versucht werden, die „zentrale gesellschaftlichen Herausforderung“ Digitalisierung etwas mehr in Richtung Sportpädagogik zu skalieren, also diejenigen Entwicklungen innerhalb des „Megatrends Digitalisierung“ zu identifizieren und zu beschreiben, die für das Feld der Sportpädagogik bereits Relevanz besitzen oder mittelfristig erlangen können. Die innerhalb sportpädagogischer Diskussionen in der Regel im Mittelpunkt stehenden Fragen nach der Anwendung neuer digitaler Tools (vor allem in sportunterrichtlichen Kontexten) wird dabei bewusst nicht adressiert.

Die technischen Voraussetzungen der Digitalisierung werden stattdessen als Bedingungen der Möglichkeit für die Entstehung von Kulturen der Digitalität verstanden, die unser Alltagsleben immer massiver zu durchdringen beginnen, aber in ihrem zukünftigen Auswirkungen aktuell noch nicht einmal ansatzweise zu erfassen sind.

Ob diese Prozesse die „sportpädagogische Praxis“ gegenwärtig schon unter Transformationsdruck setzen können oder es zukünftig tun werden, hängt u.a. stark davon ab, was man unter dieser sportpädagogischen Praxis verstehen möchte. Der Vortrag votiert für eine neugierige Offenheit der Sportpädagogik für die anstehenden Entwicklungen, die nicht von vornherein von einer aversiven Haltung gegenüber digitalen Herausforderungen geleitet ist (wie z.B. beim E-Sport). Phänomenologisch gesprochen wäre zur „epoché“ zu raten, zu einer vorläufigen Urteilsenthaltung, um das Phänomen Digitalisierung zunächst einmal genauer analysieren und verstehen zu können. Erst danach wären dann ggf. Konsequenzen für die Sportpädagogik abzuschätzen, was durchaus nicht kompatibel mit den Auswirkungen auf „sportpädagogische Praxis“ sein muss.

© Roberto Schirdewahn

Prof. Dr. Christian Gaum | Samstag, 29. November 2025

Demokratiebildung und Sport – theoretische Fragen und praktische Probleme

Demokratiebildung ist im Sport längst kein Randthema mehr (Gaum & Gissel, 2023). Sie gehört heute zu den genannten Bildungszielen in Schule (betrifft spezifisch auch den Schulsport) und Verein. Eine gängige Argumentationslinie für ihre Relevanz verweist über Zeitdiagnosen auf gesellschaftliche Entwicklungen, die mit einer Bedrohung der Demokratie einhergehen (Gloe, 2023; Boese et al., 2022). Populismus, Extremismus, Autoritarismus, politische und religiöse Polarisierung, wachsende Ungleichheit, Desinformation oder Fake News, sind gesellschaftliche Phänomene, die die Demokratie akut herausfordern. Eine deutliche Orientierung an praktische Probleme wird darin auffällig. Unweigerlich greift eine derart defizitäre Perspektive aus bildungstheoretischer Hinsicht zu kurz, denn die fehlende Selbstverständlichkeit der Demokratie gilt grundsätzlich und es bedarf mündiger Menschen, die sie aus- und mitgestalten. Weniger entscheidend erscheint folglich die Frage, ob aus gesellschaftlichen Entwicklungen Transformationsdruck entsteht, als vielmehr zu was sich die Sportpädagogik transformieren soll oder kann. Solche Überlegungen betreffen die Ebenen theoretischer Fragen und auch praktischer Probleme, die im Vortrag adressiert werden.

Ein Vorschlag zur Aufgabe, die Transformationsprozesse aufzugreifen und zu bearbeiten, ist die im CfP angestoßene Überlegung, „Bewegung, Spiel und Sport als Medium für demokratische und werteorientierte Bildung zu stärken“.

Im Mittelpunkt des Vortrags stehen aus theoretischer Sicht wenigstens zwei hochrelevante Fragen:

  1. Was ist demokratische und werteorientierte Bildung?
  2. Welchen Beitrag kann Sport hinsichtlich Demokratiebildung leisten?

Beide Fragen werde ich unter dem Fokus aufgreifen, dass sich in der wissenschaftlichen und sportlichen Praxis bei der Suche nach Antworten, Probleme herauskristallisieren. Einige betreffen allgemeine Spannungsfelder demokratischer Bildung, andere sind spezifisch im Sport verortet. Deutlich wird dabei: Probleme ergeben sich stets im Spannungsfeld zwischen konkretem Gegenstand und gesellschaftlichem Kontext – sie können sich wandeln und vielleicht gar nicht zufriedenstellend gelöst werden. Mein Vorschlag für einen bildungstheoretisch tragfähigen Bezugspunkt zum Beitrag des Sports für Demokratiebildung liegt im Umgang mit Kontingenz.

 

Boese, V. A., Alizada, N., Lundstedt, M., Morrison, K., Natsika, N., Sato, Y., Tai, H. & Lindberg, S. I. (2022), Autocratization Changing Nature? Democracy Report 2022. Gothenburg: Varieties of Democracy Institute (V-Dem).

Gaum, C. & Gissel, N. (2023). Demokratiepädagogik im Sportunterricht. Sportunterricht, 72 (11), 482-487.

Gloe, M. (2023). Demokratiebildung als Aufgabe der Schule. Vortragsmanuskript.