Thema des Monats Juli 2024: Die Zerstörung des Artemis-Tempels in Ephesos

Selbst zugeschnittener Ausschnitt aus folgendem Bild (Public Domain) von Bernard Picart zwischen 1683 und 1733

„Du-weißt-schon-Wer“ oder „Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf“: Die darin zum Ausdruck kommende Tabuisierung eines Namens dürfte wohl nicht nur eingefleischten Harry Potter-Fans bekannt vorkommen. Dies ist jedoch keine moderne Erfindung, sondern bereits in der Antike gab es Bemühungen, den Namen einer Person unerwähnt zu lassen. Dass man ungeachtet der getroffenen Maßnahmen damit selten Erfolg hatte, illustriert ein Beispiel aus der griechischen Antike.

In einer Julinacht des Jahres 356 v. Chr. brannte der Tempel der Artemis in Ephesos, eines der sieben Weltwunder der Antike, nieder. Die antiken Autoren berichten übereinstimmend, dass die Tat von einer Einzelperson verübt wurde. Unter Folter soll der Mann anschließend gestanden haben, dass er den Tempel in Brand gesteckt habe, damit sein Name bis in alle Ewigkeit in Erinnerung behalten werde. Demzufolge wäre es für ihn wichtiger gewesen, überhaupt im Gedächtnis weiterzuleben als die Art und Weise, wie man sich an ihn erinnerte. Laut dem zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. lebenden Autor Valerius Maximus beschlossen die Einwohner von Ephesos deshalb, die Erinnerung an den Brandstifter aus der Geschichte zu tilgen und seinen Namen fortan nicht mehr zu erwähnen.

Nichtsdestotrotz kennen wir heute den Namen des Täters: Herostratos. Verantwortlich hierfür ist laut dem bereits erwähnten Valerius Maximus der griechische Geschichtsschreiber Theopompos von Chios, der den Brand des Tempels als Zeitzeuge miterlebte und Herostratos’ Namen überlieferte. Nichtsdestotrotz hielten sich einige Autoren (z. B. Valerius Maximus, Cicero oder Plutarch) scheinbar an das Namensverbot und ließen Herostratos’ Namen unerwähnt.

Der Fall des Herostratos veranschaulicht somit einerseits die nach antiker Vorstellung zentrale Bedeutung der posthumen Erinnerung an die eigene Person – egal auf welche Weise –, andererseits aber auch die Unmöglichkeit, die Erinnerung an eine Person vollständig zu kontrollieren. Paradoxerweise ist sein Name, der eigentlich aus der Geschichte getilgt werden sollte, sprichwörtlich geworden: So bezeichnet man ein aus Ruhmsucht begangenes Verbrechen noch heute als „herostratische Tat“.

Kevin Teimer

Bild: Selbst zugeschnittener Ausschnitt aus folgendem Bild (Public Domain) von Bernard Picart zwischen 1683 und 1733:
 commons.wikimedia.org/wiki/File:Portretten_van_Demetrius_en_Herostratos_Portretten_van_Anna_van_Bretagne_en_Maria_Tudor,_RP-P-OB-51.096.jpg