Data Driven History
Die Moderne ist eine Epoche systematisch hergestellter Massendaten aus Verwaltungen und anderen Institutionen, die große Bestände stark strukturierter personenbezogener Quellen in unseren Archiven hinterlassen hat, etwa Personalunterlagen oder Personen- bzw. Vorgangskarteien.
Für die Geschichtswissenschaft war lange Zeit eine fast unlösbare Aufgabe, solche Quellenbestände systematisch auswertbar zu machen, zu groß war der Aufwand, händisch ausreichend große Teile solcher Dokumente maschinenlesbar zu machen. Eine Folge war, dass Karteien, Personalunterlagen usw. oft in kleinen Stichproben oder nur in Einzelfällen herangezogen wurden.
An der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung befassen wir uns in mehreren Projekten mit der Auswertung stark strukturierter historischer Massendaten als Teil unseres Zugangs zu digitaler Geschichtswissenschaft.
Dabei stehen zwei aufeinander bezogene Ansätze im Mittelpunkt:
(1) Die Erschließung historischer Massendaten in maschinenlesbaren Datenbanken für die systematische sozialhistorische Analyse. Es geht dabei einerseits um die Nutzung solcher Quellen für die rekonstruktive Untersuchung soziohistorischer Prozesse. Immer mehr allerdings tritt auch die Auseinandersetzung mit den von solchen Massendaten ablesbaren Erkenntnissen über Praktiken der Datafizierung und der Wissensproduktion sowie mit dem Einfluss, den solche "Wissensmaschinen" wie Großkarteien selbst auf historische Prozesse hatten.
(2) Geographische Informationssysteme erweisen sich als ein immer wichtigeres Werkzeug, um die in solchen Datenbeständen abgebildeten historischen Prozesse zu modellieren und zu analysieren. Viele Kategorien von Informationen, etwa in Personalunterlagen oder Fallakten, sind zeit- und geocodiert, so dass die räumliche und zeitliche Dimension sozialer Prozesse über deren Visualisierung und geostatistische Analyse besser verstanden und vermittelt werden kann.
Entsprechende Projekte betreibt Prof. Dr. Christoph Rass seit der Arbeit an seinem Promotionsprojekt, in dem er eine große Stichprobe biografischer Daten aus Personalunterlagen der Wehrmacht erhoben hat, um soziale und institutionelle Mechanismen zu untersuchen, die Verbände der Wehrmacht befähigt haben, den deutschen Vernichtungskrieg zu führen. Geographische Informationssysteme setzt die Arbeitsgruppe Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung - ganz klassisch - im Bereich der Konfliktlandschaftsforschung ein, um Prospektionsdaten zu verarbeiten. Daneben aber entwickeln wir auch SocialGIS, um die Raum-Zeit-Dimension soziohisotrischer Prozesse zu bearbeiten.