Forschungsprojekte
Was zählt? Die statistische Produktion von Wissen über Migration in Westafrika
Dr. Inken Bartels
- Wie entstehen eigentlich Zahlen und Fakten über Migration in Westafrika?
- Welche Wirklichkeiten entstehen durch unterschiedliche Praktiken des Definierens, des Kategorisierens und des Zählens von mobilen Menschen?
- Welche politischen Konsequenzen haben solche Datenpraktiken in einer Region mit institutionalisierter Bewegungsfreiheit?
Seit der sogenannten Migrationskrise 2015 fordern diverse Akteure aus Politik, Medien und Wissenschaft eine vermehrte und verbesserte Produktion wissenschaftlichen Wissens über globale Migration. Die steigende Nachfrage nach „wissenschaftlichen Daten“ und „Fakten“ verweist dabei vor allem auf ein Bedürfnis nach umfassenden Statistiken, messbaren Indikatoren und präzisen Vorhersagen globaler Migrationsbewegungen. Auf der Basis quantitativer Wissensformate, so die verbreitete Annahme, ließe sich Migration zukünftig nicht nur präziser voraussagen, sondern auch weitsichtiger und effizienter steuern. Migration auf dem afrikanischen Kontinent rückt dabei zunehmend in den Mittelpunkt internationalen Interesses. Das Forschungsprojekt untersucht die Produktion der geforderten „Zahlen und Fakten“ über Migrationsbewegungen in und aus Westafrika. Zwei zusammenhängende Forschungsfragen stehen dabei im Zentrum der Analyse: Durch welche Praktiken wird statistisches Wissen über Migration hergestellt? Und wie werden die produzierten Daten in der sozialen Interaktion unterschiedlicher Akteure zu „wissenschaftlichen Fakten“ und somit in anderen gesellschaftlichen Bereichen wirkmächtig? Es geht also im doppelten Sinne um die Frage, was zählt. Diese Fragen untersuche ich aus praxeologischen, transnationalen und postkolonialen Perspektiven, welche methodisch in einer qualitativen, sowohl vergleichend wie auch transnational angelegten, Fallstudie über die Produktion und -zirkulation von quantitativem Wissen in und aus Westafrika umgesetzt werden. Im Sinne einer „Ethnographie der Statistik“ rekonstruiere ich die jeweilige Geschichte und Praxis der statistischen Wissensproduktion am Beispiel von Senegal und Gambia.
Die umkämpfte Produktion und Zirkulation polizeilichen Wissens über Migration
Dr. Philipp Schäfer
- Wie und mit wem forschen Polizeien in Deutschland zu migrationsbezogenen Phänomenen?
- Welche Auskünfte gibt die Analyse polizeilicher Forschungspraktiken über machtvolle Vorstellungen von räumlicher Mobilität, Sicherheit und gesellschaftlicher Ordnung?
- Wie werden diese Vorstellungen in der Polizeiorganisation tradiert und wie lassen sie sich in Frage stellen?
Ob an der Grenze, über Grenzen hinweg oder im Innern von Nationalstaaten – die Polizei ist eine zentrale Akteurin in der Produktion und Zirkulation von Wissen über Migration und Migrant*innen. Dass diese Wissensproduktion und -zirkulation umstritten ist, haben unter anderem die turbulenten Dynamiken des sogenannten langen Sommers der Migration gezeigt, als die grenzüberschreitenden Praktiken Migrierender polizeiliche Institutionen, Akteur*innen und Prozesse fast täglich von Neuem herausforderten und veränderten. Das Teilprojekt fragt danach, wie sich die Polizei ein Bild der migrationsbedingt im dauerhaften Wandel befindlichen gesellschaftlichen Verhältnisse verschafft. Mit welchen Akteur*innen geht sie mehr oder weniger konfliktreiche Konstellationen ein, welche Wissensformen sind für sie von Relevanz und welche Bedeutung haben dabei insbesondere wissenschaftliche Expertisen? Und umgekehrt: Wie integrieren und übersetzen wissenschaftliche Forschungen polizeiliches Wissen über Migration und welche konflikthaften Deutungsverschiebungen lassen sich dabei beobachten? Das Forschungsprojekt zeichnet die umstrittene Produktion und Zirkulation von Wissen über Migration in einer europäischen Migrationsgesellschaft nach.
Big Data, das Regieren von Migration und die Produktion von Wissen
Dr. Laura Stielike
- Wie verändert der Einsatz von Big Data (z.B. Social Media, Mobilfunkdaten und Internetsuchanfragen) zur Analyse und Steuerung von Migration die Produktion von Wissen über Migration?
- Wie funktioniert die digitale Ko-Produktion von Wissen über Migration an der Schnittstelle von Wissenschaft, Migrationspolitik und Technologiesektor?
- Wie fließen Kategorien, Annahmen und Werte aus Informatik, Kommunikationstechnologie und digitaler Ökonomie in Wissen über Migration ein und wie wird dieses Wissen in der Migrationspolitik eingesetzt?
Das Teilprojekt fragt danach, wie der zunehmende Einsatz von Big Data zur Analyse und Steuerung von Migration die Produktion von Wissen über Migration verändert. Am Beispiel des wachsenden transnationalen Netzwerks aus migrationsbezogenen Datenanalysezentren internationaler Organisationen und Datenwissenschaftler*innen an Universitäten und privaten Forschungsinstituten wird im Rahmen einer multi-sited ethnography untersucht, wie Kategorien, Annahmen und Werte aus den Datenwissenschaften, der Kommunikationstechnologie und digitalen Ökonomie in Wissen über Migration einfließen und schließlich in Migrationspolitiken übersetzt werden. Das Projekt erforscht somit die Produktion und Zirkulation von Wissen über Migration an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft und kombiniert dabei Migrationsforschung mit Science and Technology Studies sowie mit Studien zu Wissen und Politik.