Weibliche Agency zwischen Akzeptanzfaktor und Akzeptanzsektor: Agrippina die Jüngere unter Caligula, Claudius und Nero

26.06.2025 • 18:00 – 20:00, präsent im Raum 18/E07

 Anna-Lisa Fichte, Technische Universität Dresden

Die kaiserliche Familie nahm im Prinzipat eine Doppelrolle ein: Einerseits verlieh der Kaiser seinen Angehörigen politische Agency, die es ihnen ermöglichte, offizielle Regierungsaufgaben zu übernehmen, in den Provinzen militärisch tätig zu werden, Patronagebeziehungen zu pflegen oder hinter den Kulissen Einfluss auszuüben. Diese Integration diente einem zentralen Zweck: der Generierung von Akzeptanz bei den drei politisch relevanten Sektoren – Senat, plebs urbana und Militär (Flaig 1992, 22019). Andererseits führte ihr politischer Nutzen dazu, dass Familienmitglieder eigene Erwartungen hinsichtlich ihrer Handlungsspielräume entwickelten und diese zunehmend einforderten. Die kaiserliche Familie bewegte sich somit im Spannungsfeld zwischen ihrer Funktion als akzeptanzgenerierendem Faktor und der Herausbildung eines eigenen Akzeptanzsektors mit entsprechenden Erwartungen an den Princeps.

 

Besonders den Frauen des Kaiserhauses eröffnete die Integration in die Regierungspraxis beträchtliche Agency. Der Vortrag analysiert die Handlungsmöglichkeiten kaiserlicher Frauen in der iulisch-claudischen Dynastie anhand von Agrippina der Jüngeren in ihrer Rolle als Schwester, Ehefrau und Mutter, wo sich dieses Spannungsverhältnis besonders gut nachvollziehen lässt: Unter Caligula dienten sie und ihre Schwestern angesichts fehlenden Nachwuchses als akzeptanzgenerierender Faktor und Legitimationselement. Als Ehefrau von Claudius wurden ihr außergewöhnliche Macht, Ehrungen und Handlungsspielräume zuteil – etwa durch Mitbestimmung bei politischen Entscheidungen und Einfluss auf die Nachfolgeregelung – trotz der Präsenz von Britannicus. Unter Nero wurden ihre Handlungsspielräume jedoch massiv eingeschränkt – ein Muster, das schon bei Livia unter Tiberius zu beobachten ist.

 

Im Zentrum steht demnach die Frage, wie stark weibliche Agency von der jeweiligen familialen Rolle abhing, welche Räume dadurch jeweils eröffnet oder begrenzt wurden und inwiefern sich diese Rollenwechsel auf das Selbstverständnis und die politischen Erwartungen von Frauen auswirkten. Der Vortrag wird zeigen, dass weibliche Handlungsspielräume im iulisch-claudischen Kaiserhaus stets das Ergebnis eines prekären Aushandlungsprozesses zwischen dynastischen Überlegungen, dem Streben nach der Konsolidierung von Akzeptanz und den politischen Erwartungen von Akteur:innen im unmittelbaren Umfeld des Kaisers waren und dass gerade ihre Nähe zur Macht die Frauen des Kaiserhauses – je nach ihrer familialen Rolle – sowohl privilegierte als auch gefährdete. Gleichsam wird demonstriert, dass die Familie nicht nur als passive Projektionsfläche dynastischer Politik zu verstehen ist, sondern als Gruppe, in der Frauen das politische Gleichgewicht des Prinzipats aktiv mitprägten und deren Erwartungen und Ambitionen über Erfolg oder Scheitern eines Kaisers mitentschieden.