Thema des Monats August 2025:Ein blutiger Dolch und eine brennende Hand - Die Legende des römischen Helden Gaius Mucius Scaevola

(geschrieben aus Anlass des internationalen Tages der Linkshänder)

Die Legende des römischen Nationalhelden Gaius Mucius Scaevola.

Ein literarischer Sprung in die Legende

„Ich bin ein römischer Bürger, ich heiße Gaius Mucius. Als Feind wollte ich den Feind töten; und ich habe zum Sterben nicht weniger Mut, als ich zum Töten hatte. Tapfer handeln, aber auch tapfer leiden, das ist Römerart. Und ich bin nicht der einzige, der diese Absichten dir gegenüber verfolgt: hinter mir steht eine lange Reihe von Männern, die nach der gleichen Ehre trachten. Wenn du also Lust hast, dann mach dich bereit, Stunde um Stunde um dein Leben zu kämpfen und einen Feind mit einem Dolch im Eingang zu deinem Königszelt zu haben. Das ist der Krieg, den wir, die Jugend Roms, dir erklären. Du brauchst kein aufmarschiertes Heer, keine Schlacht zu fürchten, dir allein gilt’s, und immer nur mit einem einzigen wirst du es zu tun haben“ (Titus Livius, ab urbe condita, 2, 12)

Die Worte des Mannes durchschnitten wie Klingen die angespannte Stille des Zeltes. Ein Blitzen in seinen Augen, eine versteinerte Miene – keine Furcht. Verbittert starrte der König auf den Mann nieder, der gesprochen hatte. Die lodernde Flamme des Opferbeckens, die neben den beiden Männern den Raum erhellte, malte Wut in sein Gesicht.

„Du wagst es, mir zu drohen, Römer? Wie viele Jünglinge der Euren trachten nach meinem Leben? Sag es mir! Oder du wirst in feurigen Flammen elendig deinen Tod finden!“

Der Blick des Mannes wandte sich zur Flamme, auf die der König drohend deutete. Das rot-goldene Licht erfüllte seine Augen. Dann reckte er das Kinn, trat einen Schritt näher und sprach mit fester Stimme:

„Schau her, damit du merkst, wie unwichtig der Körper für die ist, die großen Ruhm vor Augen haben!“ (Titus Livius, Ab urbe condita, 2, 12)

Ein Augenblick später war seine rechte Hand verschlungen von lichterlohen Flammen.

So ähnlich hat sich der römische Historiker Titus Livius wohl die Geschehnisse vorgestellt, als er 500 Jahre später sein Werk „Ab urbe condita“ verfasste, in dem er die römische Geschichte von der Gründung Roms bis in das Jahr 167 zusammenstellte. Dabei durfte auch die Legende um den römischen Helden Gaius Mucius Scaevola nicht fehlen. Seine Tapferkeit und seine Loyalität nämlich waren für die Römer so faszinierend, dass sich sogar römische Stoiker wie Seneca ein Beispiel an ihm nahmen. Doch fangen wir ganz am Anfang an:

Im Jahre 508 v. Chr., zu Zeiten der frühen Republik, fand sich Rom in einer Belagerung durch die Etrusker wieder. Die Vorräte gingen zur Neige und der etruskische König Porsenna war sich sicher, er könne die Stadt erobern, würde er nur abwarten. In dieser Situation trifft ein junger Adliger, Gaius Mucius, eine bedeutende Entscheidung – für sich und für die ganze Stadt. Er trat vor den Senat und bat darum, sich auf eigene Faust in das Lager der Etrusker schleichen zu dürfen. Er wollte den etruskischen König töten, um so die Belagerung Roms zu beenden. Der Senat gewährte es ihm.

Wie beschlossen machte sich der junge Adlige auf in das Lager der Etrusker. Verkleidet mischte er sich unter die Soldaten. Als diese ihren Sold empfangen sollten, stand auch er in der Reihe – mit einem Schwert versteckt unter seiner Kleidung, gerüstet zum Attentat. Zwei Männer saßen an der Spitze der Reihe, einer war der etruskische König Porsenna, der andere sein Schreiber. So stand Mucius vor einem Problem. Er wusste nicht, bei welchem der beiden Männer es sich um den König handelte. Beide trugen prachtvolle Gewänder, beide hätten es sein können. Als Mucius an der Reihe war, stach er mit seinem Dolch einen der beiden nieder – allerdings den Falschen.

Nach seiner Tat wurde Mucius schnell von Wachen übermannt und vor den König geführt. Er wusste, dass ihm der Tod bevorstand, und dennoch zeigte er keine Furcht. Voller Stolz pries er die römische Tapferkeit und das römische Durchhaltevermögen, die es ihm erlauben würden, ohne Furcht zu sterben. Gleichzeitig griff er zu einer List. Er behauptete, weitere römische Jünglinge würden kommen, um den etruskischen König zu töten, genau wie er es vorhatte. Der König, wutentbrannt, drohte Mucius damit, ihn zu verbrennen, würde er nicht augenblicklich die Pläne dieser jungen Attentäter preisgeben. Doch Mucius entschied sich stattdessen zu einem Akt, der für ewige Zeiten das Selbstverständnis der Römer prägen sollte. Er hielt seine rechte Hand in eine offene Flamme und lies sie verbrennen, ohne sich jeglichen Schmerz anmerken zu lassen. So zeigte er seinem Feind, mit welchem Ausmaß an Tapferkeit er es zu tun hatte. Prosenna war so beeindruckt, dass er Mucius nicht nur ziehen ließ, sondern aus Angst vor weiteren solcher Attentäter die Belagerung abbrach und sich zu Friedensverhandlungen mit den Römern bereit zeigte. So rettete Mucius Tat Rom vor einer Eroberung durch die Etrusker.

Die Ereignisse rund um Gaius Mucius sind nicht historisch gesichert, gehören also eher in den Kreis der römischen Sagen. Seine Legende war aber nicht nur fest verankert im römischen Kollektivgedächnis, sondern findet sich auch in europäischer Literatur, Kunst und Musik ab der Renaissance zahlreich wieder. Bis heute bleibt sie ein Symbol für Tapferkeit und Tugend – doch nicht nur das! Da Mucius seine rechte Hand im Feuer verlor, erhielt er bei den Römern den Beinamen „Scaevola“ (zu Deutsch „Linkshänder“). Und so passt die Legende perfekt zum jährlichen internationalen Tag der LinkshänderInnen, dem 13.8. Denn Gaius Mucius Scaevola, der große Held der Römer, war wohl zugleich auch der berühmteste römische Linkshänder aller Zeiten.

Theresa Heeren

Bild: KI-generiert

1. Die Einführung am Anfang des Artikels, kombiniert mit zwei direkten Zitaten aus Livius „Ab urbe condita“, ist ausdrücklich als spannende literarische Einführung zu betrachten und nicht Teil des sachlichen Artikels.

2. Alle Ausführungen zur Legende Gaius Mucius Scaevolas, inklusive der literarischen Einführung, basieren auf dem 12. und 13. Buch von Titus Livius „Ab urbe condita“.