Es ist Februar 2020, und immer mehr Fälle eines neuartigen Virus werden gemeldet. Bereits einen Monat später sollte das Coronavirus Deutschland fest im Griff haben und das soziale sowie öffentliche Leben lahmlegen: Lockdowns, Ausgehverbote, Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln prägten den Alltag. Ein buchstäbliches Kontaktverbot kannte man jedoch vermutlich schon in der Antike.
Denn eine weit weniger gefährliche Krankheit als Corona grassierte unter den vornehmen Römer*innen zur Zeit des Kaisers Claudius. Plinius der Ältere nennt sie "Mentagra", weil sie sich zuerst am Kinn (lat.: mentum) ausbreitete.
Was zunächst wie ein spöttischer Name klang, wurde bald zum geflügelten Wort für eine schuppige Hauterkrankung, die sich über das Gesicht, den Hals und sogar die Hände ausbreiten konnte. Nur die Augenpartie blieb verschont. Das Erstaunliche: Diese Seuche war bis dahin unbekannt und trat erst in der Mitte der Herrschaft des Claudius (ca. 47 n. Chr.) in Italien auf. Ein römischer Ritter aus Perusia, der in Asien stationiert war, soll die Krankheit eingeschleppt haben. Besonders auffällig war, dass die Mentagra vor allem die männliche Oberschicht traf. Frauen, Sklaven und das einfache Volk blieben weitgehend verschont. Die Übertragung erfolgte offenbar durch enge soziale Körperkontakte – insbesondere so die Vermutung nach Plinius durch den Kuss, eine gängige Begrüßung in der römischen Elite.
Die Behandlung der Krankheit war nicht weniger furchterregend als die Krankheit selbst. Mit Ätzmitteln versuchten die Ärzte, die infizierte Haut zu behandeln, wobei das Gewebe bis auf den Knochen verätzt werden musste, um ein erneutes Aufflammen zu verhindern. Für viele Patienten war die zurückbleibende Narbe sogar entstellender als die Krankheit.
Man kann vermuten, dass eine vergleichbare Hauterkrankung schon früher aufgetreten war und der Kaiser Tiberius von ihr betroffen war. Der antike Historiker Tacitus beschreibt sein Gesicht als von Geschwüren entstellt und mit Pflastern bedeckt. Der Biograph Sueton berichtet zudem, dass Tiberius die alltäglichen Begrüßungsküsse der senatorischen Oberschicht per Dekret verboten haben soll.
Mentagra ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Krankheiten und Epidemien in der Antike nicht nur medizinische, sondern auch soziale und kulturelle Dimensionen hatten. Es erinnert uns daran, dass Pandemien kein modernes Phänomen sind – und wie stark sie die Wahrnehmung von Status, Nähe und Hygiene prägen können. Ob Tiberius das Küssen tatsächlich aus Sorge um die eigene Gesundheit oder zur Eindämmung einer Krankheit verbot, bleibt jedoch ungeklärt.
Friedrich W. Brüggemann
Bildnachweis: Ein Fresko aus Pompeii, das ein römisches Paar beim Kuss zeigt. en.wikipedia.org/wiki/Kiss