Was ist ein Name wert? In Zeiten, in denen Täter von Straftaten bewusst medial anonymisiert werden und Medienkampagnen darum ringen, wem man in politisch unruhigen Zeiten Aufmerksamkeit schenken sollte, ist die Tat der Zerstörung des Artemistempels durch einen einfachen Mann mit dem Namen Herostratos aktueller denn je. Vor über 2300 Jahren wollte dieser Mann berühmt werden, koste es, was es wolle. Und es kostete die Welt eines ihrer sieben Wunder.
Im Jahr 356 v. Chr. brannte der weit über die Grenzen Griechenlands bekannte Tempel der Artemis in Ephesos an der Westküste Kleinasiens ab. Für die Menschen der Umgebung, die auf den Tempel in jeglicher Art angewiesen waren, eine existentielle Katastrophe. Der Täter, ein gewisser und bis dahin Unbekannter, Herostratos. Erst unter Folter gestand er, den Brand absichtlich gelegt zu haben. Sein glorreiches Motiv, Ruhm. Er wollte seinen Namen „bis in alle Ewigkeit“ in Erinnerung wissen. Der Aufschrei in der Stadt Ephesos war gewaltig und führte zu radikalen Reaktionen. Niemand sollte sich je wieder an seinen Namen erinnern oder erinnert werden können. Doch der Plan, den Brandstifter für immer zu vergessen, ging nicht auf. Der Historiker Theopompos von Chios beschrieb die Tat und nannte den Täter beim Namen. Andere Autoren der Antike wie Cicero oder Plutarch erwähnten ihn zwar nicht, aber der Schaden war schon angerichtet. Seine Geschichte überlebte, samt seinem Namen. Herostratos wurde nicht vergessen, sondern bekannt. Ironischerweise sorgte gerade das bewusste Schweigen seiner Mitmenschen dafür, dass man sich bis heute an ihn erinnert.
Sein Fall ist ein extremes Beispiel für ein Muster, das bis heute unglaublich gut funktioniert. Aufmerksamkeit, egal wie auch immer sie generiert wird, zählt. Hierbei ist egal ob positiv oder negativ. Herostratos war kein berühmter Feldherr, kein Dichter, kein König, sondern einer von Millionen. Er hatte nichts, außer den Wunsch, im Rampenlicht zu stehen. Dass er dafür ein monumentales historisches Weltwunder zerstörte, welches der Autor Antipatros von Sidon als „Hat Helios Auge außer dem hohen Olymp je etwas gleiches gesehen?“ (Antipatros von Sidon: Anthologia Palatina 9, 151) beschrieb und damit auf die unglaubliche Größe und Schönheit des Gebäudes anspielt, war Herostratos vollends egal.
Ähnliche Beispiele sehen wir ganz aktuell auch heute. In sozialen Netzwerken und selbst auf den Bühnen der Weltpolitik sorgen Menschen gezielt mit Beleidigungen, Lügen oder Provokationen für Aufmerksamkeit. In der Öffentlichkeit brechen manche mit Absicht Tabus, um in die Schlagzeilen der Medien zu kommen und weitere Aufmerksamkeit zu generieren. Als Beispiel können hier unzählige Content Creator von Videoplattformen genannt werden. Und auch im Alltag gibt es Leute, die laut und übertrieben auftreten, nur um endlich gehört zu werden. Herostratos wäre heute vermutlich nicht Brandstifter, sondern bekannter Content Creator, welcher mit einem Skandal viral geht.
Der erste Impuls Vieler ist es hier, der Person die Bühne zu nehmen, etwa durch mediales Totschweigen oder indem Beiträge weniger angezeigt und somit auch weniger in Umlauf gebracht werden. Doch auch wie bei Herostratos zeigt sich, dass das Schweigen Aufmerksamkeit erzeugt. Gerade eben genau das Verbot über Jemanden oder dessen Vergehen zu sprechen, macht ihn oft noch um ein Vielfaches reizvoller und interessanter.
Diese Person zeigt zwei Dinge auf. Erstens, dass Erinnerung definitive Macht bedeutet, dieses gilt damals wie heute. Zweitens, dass man Aufmerksamkeit schlichtweg nicht verhindern kann oder eben nur teilweise. Wer berühmt werden will, findet auch gerade dann seinen Weg verschuldet oder unverschuldet in die Geschichte, wenn andere versuchen, ihn zu löschen. Herostratos ist dafür das beste Beispiel.
Niklas Eilers
Foto: KI-generiert