Thema des Monats November 2024: Von Caesars Soldat zu Christus’ Soldat

Martin von Tours

Am 11. November erklingen in vielen Teilen Deutschlands nicht nur Karnevalsrufe, sondern man sieht auch Kinder, die singend mit ihren Laternen durch die Straßen ziehen. Sie singen von einem römischen Soldaten, der als einziger Mitgefühl mit einem frierenden Bettler vor der Stadt Amiens hatte und seinen Mantel, ein großes rotes Stück Stoff, mit ihm teilte. Weiter heißt es in den weniger bekannten Strophen, dass dies der Moment war, in dem sich Martin zum Christentum bekehrte und es sogar bis zum Bischofsamt schaffen sollte.

Tatsächlich soll dem historischen Martin zumindest letzteres passiert sein. Die früheste Quelle, die über den Bischof von Tours berichtet, ist die Vita Martini des Sulpicius Severus, einem adligen Freund des Heiligen. Diese Schrift steht am Anfang der christlichen Heiligenlehre, ist jedoch historisch nicht unumstritten.

Severus zufolge wurde Martin in der Provinz Pannonien, in Savaria (heute Ungarn), als Sohn eines Militärtribuns in eine pagane Familie hineingeboren. Der Familientradition folgend, soll er zunächst selbst zum Militär gegangen sein. Hier fallen auch die ersten Ungereimtheiten in den Überlieferungen zu Martin auf: 316/317 geboren, soll er mit 15 Jahren den Dienst angetreten haben, nicht unüblich für Soldatensöhne. Etwa 20-jährig soll er dann auf spektakuläre Weise den Dienst wieder abgelegt haben. Severus ist in seiner Darstellung eindeutig: Dies soll bei der Heeresversammlung vor einer Schlacht gegen die Alamannen im Gebiet der Vangionen (Worms) unter Kaiser Julian passiert sein, was für das Jahr 356 spricht und gegen die überlieferte Chronologie. Martin hätte dann seinen Militärdienst abgeleistet bevor er sich dem radikalen asketischen Christentum zuwandte.

Anstatt das Donativ am Vorabend der Schlacht entgegenzunehmen, bat Martin um seine Entlassung und erklärte: „Christi ego miles sum“ – „Ich bin ein Soldat Christi“. Als der Kaiser den Wunsch versagte, schlug Martin vor, am nächsten Tag als erster und ohne Bewaffnung gegen den Feind zu ziehen. Wie durch ein Wunder kam es nicht zur Schlacht – Martin war frei, und Severus kann ihm und Gott freilich als Grund für die Aufgabe der Germanen benennen. In der Folge lebte Martin asketisch zurückgezogen im Umfeld des Bischofs Hilarius von Poitiers, ehe er um 370 zum Bischof von Tours gewählt wurde. Zwar gründete Martin bei Marmoutier auch ein Kloster, aber sein Ruhm beruhte kaum auf seinem Mönchtum, sondern eher auf seiner Tätigkeit als Missionar und seinem asketischen Leben.

Severus berichtet zwar davon, dass Martin, ebenso wie andere Asketen seiner Zeit, Wunder in Form von Teufelsvertreibungen und Totenerweckungen gewirkt haben soll, beschreibt aber auch sehr genau, wie Martin gegen Andersgläubige in Gallien vorging: in durchaus radikaler Weise zerstörte der Soldat Christi die paganen Heiligtümer und Tempel und störte deren Zeremonien. Zwar berichtet Severus nicht über den Tod Martins, vermutlich, weil dieser bei der Veröffentlichung der Vita noch lebte, dennoch zeigt er die tiefe Bewunderung anderer Heiliger, wie z. B. seines Freundes Paulinus von Nola, auf. Nach den später erschienenen Viten soll Martin am 8. November 397 verstorben sein. Anders als andere frühe Heilige starb Martin keinen Märtyrertod, denn zu seiner Zeit war das Christentum bereits eine privilegierte Relegion. Auch wird der Tag der Beisetzung seiner Gebeine, der 11. November in Tours, verehrt, nicht sein Sterbetag.

Die Bekanntheit und Verehrung des Asketen, Mönchs, Bischofs und Soldaten Christi setzte vermutlich schon rasch nach seinem Tod ein. Sein Grab wurde zu einem bedeutenden Ziel von Pilgern, und auch sein legendärer Mantel (lateinisch „cappa“ und Ursprung für das deutsche „Kapelle“ und „Kaplan“) gewann an Bedeutung, da dieser unter den Merowingern zur Reichsreliquie wurde und in der Karolingerzeit zu einem Reichskleinod. Kritisieren muss man dennoch, dass die Texte über Martins Leben tendenziell versuchen, den Asketen Martin zum Paradebeispiel eines guten Bischofs zu machen, der den rechten Glauben verteidigt und auch ein vorbildlicher Mönchsvater gewesen sei. Damit stand er nicht nur in Konkurrenz zu den Heiligen im östlichen Mittelmeerraum, sondern übertraf diese sogar.

Die heutigen Riten rund um die Verehrung des Martins wurden vermutlich im 19. Jahrhundert aus älteren Traditionen wiederbelebt. Der Martinstag fällt mit dem alten Beginn der adventlichen Fastenzeit zusammen, weswegen vielerorts an dessen Vorabend Martinsfeuer die Nacht erleuchteten und in Gemeinschaft gefeiert, gegessen und getrunken wurde. Dies sind die Ursprünge für Martinsgänse und Laternenumzüge. Für die Armen brach eine Zeit des Hungerns an, so dass ihre Kinder auf Heischegänge gingen, um Äpfel, Nüsse und andere Trockenfrüchte für den Winter einzulagern. In Norddeutschland als Mattenherrn bekannt und lange schon durch Süßigkeitensammeln bekannt, heute weitgehend durch Halloween verdrängt.

Friedrich W. Brüggemann

Bildnachweis: Martin von Tours,  pl.wikipedia.org/wiki/Marcin_z_Tours