IAK WP 1: Die “Herold"-Massaker .

Die “Herold"-Massaker im Lager II (Aschendorfermoor): Eine interdisziplinäre Annäherung der Konfliktlandschaftsforschung an 'unsichtbare’ Tatorte.

Ein Prospektionsbericht von Andreas Stele, Mirjam Adam, Jacqueline Meurisch, Marie-Christin Wolffgang, David Krull, Christoph Rass,

IAK Working Paper Nr. 1, Version 1.0, 10. April 2020.

Einführung


In den letzten Tagen vor der Befreiung kommt es im Lager II (Aschendorfermoor) der Emslandlager zu einem Massaker. Ein Soldat der Wehrmacht, der den Anschluss an seine Truppe verloren hat, gibt sich mit einer fremden Uniform als Offizier aus, schart eine Gruppe von Marodeuren um sich und ermordet zwischen dem 12. und dem 18. April 1945 mindestens 150 Gefangene des Lagers.

Die Taten des “Hauptmann Herold” sind Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen und Filme geworden. Die Gedenkstätte Esterwegen widmet sich heute der Dokumentation, Erforschung und Vermittlung der Geschichte dieser Ereignisse, der Tatorte und der Schicksale der Opfer. Am Schauplatz des ehemaligen Lagers II findet sich heute eine Kriegsgräberstätte, die dem Gedenken an die Toten gewidmet ist.

Allerdings sind die genauen Tatorte und Schauplätze dieser Verbrechen bisher kaum erforscht. Obwohl zahlreiche Beschreibungen der Ereignisse in unterschiedlichen Quellen und Darstellungsformen vorliegen, sind der Ort der Erschießungen, die Lage der ursprünglichen Massengräber und die genaue Verortung der Gräber, die bei der Exhumierung der Opfer 1946 angelegt wurden, bisher unbekannt.



Im September 2019 haben Wissenschaftler*innen und Studierende der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaftsforschung (IAK) der Universität Osnabrück in Kooperation mit der Gedenkstätte Esterwegen erste Untersuchungen durchgeführt, um Tatorte und Grablagen mit Hilfe geoarchäologischer Methoden zu detektieren und zu dokumentieren.

Der Osnabrücker Ansatz der Konfliktlandschaftsforschung nähert sich gewaltüberformten Orten mit einem interdisziplinären Methodenset, das Perspektiven der Geoinformatik, der Bodenwissenschaft, der Physischen Geographie und Geoarchäologie, der Archäologie sowie der Geschichts- und der Kulturwissenschaft integriert.

Der NDR berichtet auf seiner Website im Rahmen der Chronologie zum Kriegsende 1945 in dem Beitrag  "Der Henker vom Emsland verübt Massaker an Gefangenen" über die Vorgänge im Aschendorfermoor.

 

Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaftsforschung hat sich an der Universität Osnabrück 2014 aus der langjährigen Zusammenarbeit des Instituts für Geographie und des Historischen Seminars mit dem  Museum und Park Kalkriese entwickelt und untersucht historische Gewaltorte unterschiedlichen Charakters, deren Ereignishorizont in Antike, Mittelalter oder Neuzeit liegen.

Eine Übersicht zu einschlägigen Quellenbeständen im Niedersächsischen Landesarchiv gibt Thomas Brakmann in seinem Beitrag  "Der Hauptmann" - Akten im Landesarchiv dokumentieren die Verbrechen des "Sonderkommandos Herold" im Osnabrücker Geschichtsblog.

Im Zentrum des Interesses stehen die materielle Dimension und die narrative Konstruktion von Gewaltorten in ihrem Verhältnis zum Ereignishorizont. Dabei fragen wir nach den Beziehungen zwischen diesen Ebenen, nach ihrer Genese und Transformationen sowie schließlich nach der Art und Weise, in der Geschichtskultur und historisches Denken aus den Spuren der Vergangenheit Geschichte und Geschichten machen.

Solche Prozesse gilt es zu dokumentieren, zu analysieren und kritisch zu diskutieren. Die Ergebnisse sollen dabei nicht im Sinne einer Vereindeutigung präsentiert, sondern in ihrer Offenheit und Ambiguität mit den Ansätzen einer kritischen public history vermittelt werden.

Seit 2014 hat die IAK eine Reihe von Pilotprojekten und Prospektionen mit diesem Ansatz durchgeführt.

Derzeit sind mit den Forschungsprojekten “Lernort ‘Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald” (gefördert durch den Landschaftsverband Rheinland) sowie “Boden | erinnert. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur” (gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes) zwei Vorhaben in Bearbeitung, die sich einmal einem “Schlachtfeld” des Zweiten Weltkrieges, einmal einem Lager als Gewaltort des NS-Regimes annähern und mit ihrem methodischen und historischen Kontext eine unmittelbare Rahmung für die Untersuchungen im Aschendorfermoor bieten [Projekte der IAK].

In diesem Beitrag stellen wir exemplarisch unsere Methoden und Arbeitsweise vor und bieten zugleich Einblicke in erste Befunde zu den Spuren der Massaker im April 1945 und der Strukturen des Lagers II, die sich im Boden des Emslandes erhalten haben.

Zum historischen Kontext: Die Emslandlager 1933 bis 1945


Insgesamt 15 Strafgefangenen-, Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager hat das NS-Regime zwischen 1933 und 1945 im Emsland errichtet. Als Gesamtkomplex trug dieses Lagersystem die Bezeichnung „Emslandlager“.

Die ersten Lager im Emsland wurden bereits 1933 als Konzentrationslager für politische Gegner des “Dritten Reiches” errichtet und dienten ab 1934 der Justizverwaltung als Strafgefangenenlager. Lediglich das Lager Esterwegen blieb bis 1936 ein Konzentrationslager und wurde erst 1937 zu einem Strafgefangenenlager.

Die Strafgefangenen, unter denen sich auch eine große Zahl „politischer Gefangener“ befand, mussten schwere Zwangsarbeit - vor allem in der Moorkultivierung - leisten und waren den physischen und psychischen Misshandlungen der SA-Wachmannschaften ausgesetzt. Ab 1939 nutzte die Wehrmacht acht der Emslandlager zur Inhaftierung von Kriegsgefangenen. In die übrigen sieben Strafgefangenenlager kamen nun hauptsächlich Wehrmachtsangehörige, die von Kriegsgerichten zu Haftstrafen verurteilt und in den zivilen Strafvollzug überstellt worden waren.

Das Strafgefangenenlager II Aschendorfermoor wurde 1935 errichtet und diente der Inhaftierung von Menschen, die das NS-Regime aus rassistischen, religiösen oder politischen Motiven verfolgte. Politische Gefangene stellten zwischen 1937 und 1940 den größten Teil der Gefangenen, da die zentrale Lagerverwaltung in Papenburg sie aus allen Strafgefangenenlagern des Emslandes hier zusammenzog.

Während des Krieges war das Lager, welches für 1.500 Gefangene ausgelegt war, vor allem belegt mit von Kriegsgerichten verurteilten Wehrmachtsangehörigen, denen nicht selten Straftaten wie „Zersetzen der Wehrkraft“ oder “Fahnenflucht” zum Vorwurf gemacht wurden [Gedenkstätte Esterwegen].

Die Lebensbedingungen im Lager verschlechterten sich im Verlauf des Krieges drastisch: Die Gefangenen litten massiv unter hygienischer Vernachlässigung, unzureichender Ernährung, Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sowie unter psychischer und physischer Misshandlungen durch die Wachmannschaften. Bis Kriegsende starben im Lager II Aschendorfermoor hunderte Menschen, von denen 237 amtlich bekannt sind. Diese Opfer wurden zunächst auf dem Lagerfriedhof Börgermoor (heute Begräbnisstätte Bockhorst/Esterwegen) beigesetzt [Gedenkstätte Esterwegen].

Historische Luftaufnahme eines ländlichen Gebiets. Das Bild zeigt ein Schachbrettmuster aus Feldern, Straßen und einige Gebäude. Die Aufnahme ist in Schwarzweiß und trägt die Kennzeichnung eines Luftbilddienstes aus dem Jahr 1937.
Luftbild des Lagers II Aschendorfermoor (rechts unten) aus dem Jahr 1937 [NLA OS K300 Nr. 23 H Bl. 62].

Die  Gedenkstätte Esterwegen besteht seit 2011 am ehemaligen Ort des Konzentrationslagers- und Strafgefangenenlagers Esterwegen. Sie steht stellvertretend für alle fünfzehn Emslandlager und behandelt deren Geschichte sowie Nachgeschichte in durch Forschung, Dokumentation und Vermittlung sowie ihren Dauer- und Wechselausstellungen.
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Die Morde im April 1945


Kurz vor Kriegsende wurde das Lager II Aschendorfermoor zum Schauplatz eines brutalen Massenmordes, dessen Dynamik sich aus dem Ineinandergreifen letzter Entgrenzungen im “Zusammenbruch”, der Brutalisierung des Lagersystems und der Täter sowie der Exzesse verrohter und traumatisierter Gewaltakteure entwickelte. Ein Trupp von versprengten Soldaten, angeführt von einem selbsternannten “Hauptmann” übernahm im Lager faktisch die Kontrolle und entfesselte eine eskalierende Gewaltspirale.

Nachdem die Zentralverwaltung der Lager im Frühjahr 1945 angeordnet hatte, den Großteil der in den Emslandlagern verbliebenen Gefangenen in das Lager Aschendorfermoor zu „evakuieren“, da man das Eintreffen der Alliierten von der Westfront her fürchtete, waren dort seit dem 10. April 1945 zwischen 2.500 und 3.000 Gefangene interniert. Das Lager war damit vollkommen überbelegt, während die Machtstrukturen des NS-Staats zusehends zerfielen.

Während den “Evakuierungen” aus den übrigen Lagern war einer Anzahl Gefangener die Flucht gelungen, von denen aber einige wieder durch das Wachpersonal ergriffen wurden [vgl. DIZ sowie Wiese, D. (2005), o.A.]. Die Lage schien außer Kontrolle zu geraten und die Nationalsozialisten sannen auf harte Bestrafungen für die Flüchtigen.

Am 11. April 1945 tauchte der 19-jährige „Hauptmann“ Willi Herold im Lager II Aschendorfermoor auf und übernahm mit einem Trupp von Soldaten, die er in den Tagen zuvor um sich gesammelt hatte, kurzerhand das Kommando über das Lager, indem er mit einer gestohlenen Uniform vorgab, Offizier zu sein und glaubhaft machte, er sei befugt, die Kontrolle zu übernehmen. Er ließ sich die wieder ergriffenen Gefangenen vor der Arrestbaracke zeigen und führte kurze Verhöre durch. Anschließend befahl er, einige Gefangene einzeln hinter der Baracke zu erschießen. Der Lagerleiter unterbrach die Aktion und forderte Herold auf, erst auf höhere Order für diese Erschießungen zu warten. Herold brach daraufhin die Morde zunächst ab.

Nach verschiedenen Rücksprachen drangen offenbar vor allem die Gauleitung in Oldenburg und die Geheime Staatspolizei auf die Aburteilung der Gefangenen durch ein Standgericht [vgl. Meyer (2017), S. 241].

Am folgenden Tag, dem 12. April 1945, erschossen Herold und seine Männer - unterstützt von Teilen der Wachmannschaft und des Volkssturms - schätzungsweise 98 Gefangene nach völlig willkürlich durchgeführten "Standgerichtsverfahren". Am Hinrichtungsplatz, der außerhalb der Drahtumwehrung des Lagers lag, hatten Gefangene zuvor eine Grube ausheben müssen.

Herold blieb noch bis zum 19. April 1945 im Lager. Er und seine Mittäter erschossen in diesen Tagen immer wieder weitere geflohene und wieder ergriffene Gefangene. Zwischen dem 11. und 19. April waren sie für die Morde an mindestens 150 Gefangenen verantwortlich [vgl. Bührmann-Peters, 2012, S.29f]. Erst nach einem alliierten Luftangriff auf das Lager am 19. April und dem unmittelbaren Heranrücken von britisch-polnischen Truppen verließen Herold, der später als „Henker vom Emsland“ zu einer Symbolfigur von Brutalisierung und Verrohung von Menschen des Vernichtungskrieges und der NS-Gesellschaft werden sollte, mit seinen Männern das mittlerweile völlig zerstörte Lager.

Kurz nach Ende des Krieges wurde er von Alliierten festgenommen und gemeinsam mit fünf Mitangeklagten zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet.

Die Zahl der Todesopfer im Lager II umfasste jedoch nicht nur die Opfer des von Willi Herold initiierten Massakers. Etwa 50 weitere Häftlinge kamen im April 1945 ums Leben, als alliierte Truppen das Lager in einem Artillerieangriff bombardierten, wobei auch die Gebäude des Lagers weitgehend niederbrannten.

Die zunächst in verschiedenen Massengräbern auf dem Gelände bestatteten Toten wurden nach Kriegsende auf der Kriegsgräberstätte Aschendorfermoor bestattet, welche landläufig auch als “Herold-Friedhof” bezeichnet wird. Er liegt am Rande des ehemaligen Lagergeländes [vgl. DIZ]. Die Umbettung der meisten Leichname fand vermutlich am 1. Februar 1946 statt, als eine britische Untersuchungskommission aus Oldenburg die Erschossenen exhumieren und neu bestatten ließ [vgl. Pantcheff, 1987, S. 102f.].

Willi Herolds Verbrechen wurden bereits mehrfach verfilmt. Zuletzt bot der Kinofilm  "Der Hauptmann" eine Neufassung der Geschichte, älter ist bereits der Dokumentarfilm  "der Hauptmann von Muffrika" von Paul Meyer und Rudolf Kersting.

Foto einer Seite aus den Akten. Der Text ist dicht gedruckt und bezieht sich auf Namen, Organisationen und operationelle Details. Die Seite ist vergilbt und weist Gebrauchsspuren auf.
© Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung
Auszug aus den Akten zum Strafverfahren gegen Wachpersonal und Gefangene der Emslandstraflager wegen Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Prozess gegen Willi Herold, geb. 1925, gest. 1946 [NLA OL Rep. 946 Best. 140-5 Nr. 1253, 1946].
Schwarz-weiß Foto, das eine Gruppe Soldaten zeigt, die an einer Grube stehen. Auf dem Boden liegen Leichen. Der Himmel ist grau und die Szene wirkt düster.
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Die Exhumierung der Opfer 1946 [NLA OS Slg. 50 Akz. 48/1988 Nr. 232, Februar 1946.]

Spuren der Ereignisse und Fragestellung


Eine Gedenktafel und mehrere Gedenksteine weisen heute am ehemaligen Standort des Lagers II auf die Opfer des "Sonderkommandos Herold" hin und deuten an, wo sich vermutlich ihre Gräber befinden. Erste Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die in den historischen Quellen überlieferten Angaben zu den Grablagen sich widersprechen und kaum Rückschlüsse auf die tatsächliche Verortung der Gruben zulassen.

Vom Lager selbst finden sich an der Oberfläche keine Spuren mehr. Das Trümmerfeld, das nach dem Brand des Lagers 1945 übriggeblieben war, wurde in der Nachkriegszeit nach und nach beseitigt. Schließlich blieb neben dem später errichteten und mehrfach überbauten Ehrenfriedhof nur landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der nichts mehr auf den ehemaligen Lagerstandort hindeutet [Gedenkstätte Esterwegen].

Damit stellt sich trotz aller verfügbaren Quellen und Dokumente, Untersuchungen und Rekonstruktionen noch immer die Frage, wo genau sich die Morde, die Willi Herold und seine Mittäter begangen haben, abspielten haben, wo genau die Opfer begraben wurden und wo deren Überreste heute ruhen.

Wo also sind die historischen Tatorte und wo sind die Opfer bestattet?

Der überraschende Befund dieser Leerstelle in unserem Wissen steht für ein Phänomen, das wie die Emslandlager zahlreiche Lagerkomplexe der NS-Zeit betrifft: Immer wieder kamen Gefangene auch bei Außeneinsätzen ums Leben, ihre Bestattungen wurden mehr oder weniger gut dokumentiert. In der Endphase des Krieges eskalierte die Gewalt der Täter oftmals, während kaum noch Informationen über die Geschehnisse aufgezeichnet wurden. In der Nachkriegszeit kam es wiederum zu teils schlecht dokumentierten Umbettungen.

Tatsächlich existieren auch in Deutschland noch zahlreiche Orte, an denen Opfer des NS-Systems undokumentiert oder gar unbekannt in Massengräbern liegen.

In den Emslandlagern betrifft dies insbesondere auch das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen unter den Todesopfern, die häufig in Massengräbern verscharrt wurden. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Tote außerhalb der neun bekannten Friedhöfe im Bereich der Emslandlager liegen, sodass ihnen eine angemessene Ruhestätte verwehrt bliebt. Auch auf den “Ehrenfriedhöfen” bzw. Kriegsgräberstätten erweisen sich die eigentlichen Grablagen sowie Art und Umfang der Bestattung bzw. Umbettung vielfach unklar [Gedenkstätte Esterwegen].

Kartenausschnitt der Region um Aschendorf (Ems), Herbrum und Neulehe. Ein roter Kreis markiert einen bestimmten Bereich südlich von Aschendorf, umgeben von Feldern, Straßen und Naturschutzgebieten wie dem Aschendorfer Obermoor und Wilden Moor.
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Das Lagerareal zwischen den Dörfern Aschendorfermoor und Neulehe in einer aktuellen Kartenansicht [Esri Basemap Openstreetmap].

Im Rahmen des Projektes "Boden | erinnert. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur", das von 2020 bis 2022 als eine Kooperation zwischen der Gedenkstätte Esterwegen und der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung der Universität Osnabrück durchgeführt wird, ist unter anderem eine differenzierte Untersuchung des  Friedhofs Dalum geplant. Das Projekt wird im Programm "Jugend erinnert" durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert.

Das Gelände des Lagers II in der Gegenwart


Auf dem Areal, auf dem während des Krieges das Lager II stand, befindet sich heute ein Bauernhof, der in etwa die Fläche einnimmt, auf der bis 1945 das Lager für die Wachmannschaften eingerichtet war. Der Lagerbereich der Gefangenen ist zu landwirtschaftlicher Nutzfläche geworden. Konkret handelt es sich dabei um ein Feld- bzw. Wiesenstück ohne jede Spur der historischen Gegebenheiten an der Bodenoberfläche.

An der südlichen Ecke dieses Areals befindet sich der Friedhof für die im Lager II getöteten Gefangenen. Diese Kriegsgräberstätte ist baumbestanden und eingezäunt.

Eine Rekonstruktion der Gegebenheiten während der Kriegsjahre ist auf der Grundlage von Luftbildern, Fotos, Bauplänen, Planskizzen sowie Akten und Dokumenten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit möglich. Aufbau und Struktur des Lagers sind daher bekannt und können unterschiedlichen Zeitabschnitten und Bauphasen des Lagers zugeordnet werden.

Die Massengräber im Lager bzw. in dessen Umfeld lassen sich drei Bereichen zuordnen. In der Nähe des Tores zum Lager der Wachmannschaften (Grablage C) werden Überreste eines Massengrabes vermutet, in dem 1946 insgesamt 13 Leichen gefunden wurden. Im vorderen Bereich des Häftlingslagers ist 1946 ein Massengrab exhumiert worden, in dem sich 46 Leichen befanden (Grablage B). Südlich an das Lagerareal angrenzend, nahe dem heutigen Friedhof, verorten die historischen Quellen drei große Gruben, aus denen 136 Körper geborgen wurden (Grablage A) [vgl. Pantcheff, 1987, S. 102f.]. In diesem Bereich haben die meisten der Erschießungen durch Herold und seine Männer stattgefunden. Entsprechend müssen sich dort die ursprünglichen Gruben befunden haben, in denen die Opfer verscharrt wurden. Möglicherweise sind zudem bei der Umbettung neue Gräber angelegt worden.

Luftbild mit eingezeichneten Bereichen, die verschiedene Strukturen und Geländeabschnitte markieren. Dargestellt sind Geländegrenzen, Gebäude, Sportplatz und mögliche Standorte von Massengräbern sowie ein farbcodierter Lageplan und eine Legende zur Erklärung der Symbole.
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Das ehemalige Lagerareal im rezenten Luftbild [Esri Basemap Imagery].
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Übertragung georeferenzierter Lagerinfrastruktur und der Verortung möglicher Grablagen auf ein rezentes Luftbild.

Schon die Sichtung einer kleinen Auswahl von Aussagen und Planskizzen, die im Verlauf verschiedener Prozesse gegen die Täter und Mittäter entstanden sind, verdeutlicht indes, dass jede konkrete Benennung die Lage der Massengräber am Rand des Lagergeländes unterschiedlich verortet. Eine georeferenzierte Darstellung der Planskizzen verdeutlicht diese Beobachtung. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine georeferenzierte Darstellung händischer Skizzen, die sich nur vage an maßstabsgetreuen Kartierungen des Lagerstandortes orientieren, stets nur als eine Annäherung an den historischen Kontext interpretiert werden kann.

Alle Aussagen in den Gerichtsakten, die heute im Niedersächsischen Landesarchiv aufbewahrt werden, stimmen zwar darin überein, dass sich Tatort und Gruben (Bereich A) an der Südecke des Lagers außerhalb der Stacheldrahtumzäunung befanden. Die Angaben über die genaue Lage und die Größe der Gruben variieren jedoch beträchtlich. Im Vergleich dazu werden die Grablagen im Häftlingslager (B) und am Eingang zum Lager der Wachmannschaften (C) in unterschiedlichen Quellen übereinstimmend bezeichnet.

Konfliktlandschaftsforschung im Aschendorfermoor


Aus diesen Befunden ergibt sich die Dringlichkeit der Fragestellung nach Verortung von Tatorten und Gräbern.

Die Sichtung der historischen Quellen ermöglicht zunächst eine Auswertung von Informationen, die für fernerkundliche Untersuchungen des Untersuchungsgebiets sowie die Anwendung zerstörungsfreier geoarchäologischer Verfahren eine wichtige Grundlage bilden. Sie sind eine Voraussetzung für die Planung von Messungen, die Strukturen des Lagers im Boden sowie mögliche Grablagen detektieren und dokumentieren zu können.




Im Osnabrücker Geschichtsblog skizziert Dr. Sebastian Weitkamp von der  Gedenkstätte Esterwegen in seinem Beitrag  "1945 / 2020 - 75 Jahre Kriegsende und Befreiung: Die Emslandlager" anlässlich des 75. Jahrestages des Herold-Massakers die Ereignisse im Lager II.



 

Die Feldforschung der Prospektionskampagne im September 2019 hat sich zunächst auf den Übergangsbereich zwischen dem Lager der Wachmannschaften und dem Gefangenenlager, die oben benannte Grablage B im Bereich der Gefangenenunterkünfte sowie die Grablagen auf dem Ehrenfriedhof konzentriert. Der Bereich der Grablage A war dagegen bisher nicht zugänglich, da die Grundstückseigner eine Betretungserlaubnis zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchungen nicht erteilt haben.

Methoden und Befunde


Bei der Erfassung, Kartierung und Dokumentation von Gewaltorten hat sich die Entwicklung einer interdisziplinären Methodenkette aus geschichts- und geowissenschaftlichen Verfahren und Techniken bewährt.

Je nach Ausgangslage, historisch-archäologischer Lokation und der Fragestellung kann diese an das konkrete Vorhaben angepasst und ausgestaltet werden. Prinzipiell unterscheiden wir bodenkundliche bzw. bodenwissenschaftliche, fernerkundliche, nicht- und minimalinvasive geoarchäologische und archäologische Methoden, geschichtswissenschaftliche sowie kulturwissenschaftliche Ansätze, die wir in einem interdisziplinären Team auf unsere Fragestellungen und Erkenntnisziele einerseits, die Gegebenheiten des Untersuchungsgebiets andererseits zuschneiden [IAK].

Bei der Untersuchung im Bereich des Lagers Aschendorfermoor haben wir uns zunächst für ein explorativ ausgerichtetes Methodenset entschieden: Dies bedeutet für die erste Phase der Untersuchung, dass zunächst Recherchen und Datenanalysen durchgeführt wurden, indem historische Dokumente ausgewertet und in einem Geographischen Informationssystem (GIS) zusammengeführt wurden [vgl. Lünen, A. von (2011), o.A.]. Dabei handelte es sich vor allem um historische Luftbilder, Planskizzen und Baupläne des Lagers, auf denen Infrastrukturen verzeichnet und Bauphasen erkennbar sowie Anhaltspunkte für mögliche Grablagen erkennbar waren. Diese georeferenzierbaren Quellen konnten in einem zweiten Schritt mit den Ergebnissen fernerkundlicher Analysen kombiniert werden, zu denen u.a. rezente Orthofotografien und LiDAR-basierte Geländemodelle zählen [vgl. Bofinger, J. u. Hesse, R. (2011), o.A.].

Das so entstehende GIS dient zur Vorbereitung der eigentlichen Prospektion vor Ort und zur Einbindung der bei der Feldforschung gewonnenen Daten.

Die zweite Phase der Untersuchung umfasste die eigentliche Feldforschung am Ort selbst. Dabei wurde zunächst eine geophysikalische Prospektion der zu untersuchenden Grablagen (A, nur im Bereich des Ehrenfriedhofs) und (B) sowie eines größeren Ausschnitts des Lagerareals (Gefangenenlager) durchgeführt, nachdem die Flächen durch Absteck- und Vermessungsarbeiten vorbereitet waren.

Eine Magnetometerprospektion mit einem Fluxgate-Magnetometer (Typ Bartington GRAD 601dual) beruht physikalisch auf feinen Messungen von Veränderungen im lokalen Erdmagnetfeld, die durch Bodenumlagerungen, Gegenstände im Boden oder bodenbildende Prozesse verursacht werden können. Die Messungen erfolgen in Quadranten unterschiedlicher Größe. Mit einer maximalen Größe von 40 mal 40 Metern sind wir in der Lage, große Flächen rasch zu erfassen [vgl. Fassbinder, J. (2007), o.A.]. Die Ergebnisse der Magnetometrie geben einen ersten Überblick über Funde und Befunde im Untergrund.

Die Magnetometerprospektion dient also gewissermaßen einer Kartierung des Untergrundes und hilft uns, Funde und Befunde zu identifizieren, die im Anschluss mit weiteren Verfahren differenziert betrachtet werden.

Bei der Untersuchung im Aschendorfermoor, bei der wir bedingt durch die Bauweise der Lagerinfrastrukturen im Häftlingsbereich keine Fundamentreste im Boden erwartet haben, für die sich etwa eine Vermessung mit Hilfe geoelektrischer Verfahren angeboten hätte, sind neben der Magnetometerprospektion profilorientierte Georadarmessungen (IDS Opera Duo) vorgenommen worden [vgl. Ulrich u. a. (2007), o.A.]. Diese Methode haben wir an ausgewählten Stellen zum Einsatz gebracht, an denen sich aus den Ergebnissen der Magnetometerprospektion, aus LiDAR Daten oder aus der Rekonstruktion der historischen Gegebenheiten im GIS Auffälligkeiten zeigten.

Im Unterschied zur Magnetometerprospektion, aus der sich prinzipiell eine 2-D Aufnahme des Untergrundes ergibt, liefert eine Georadarmessung Informationen über den Zustand des Untergrundes in drei Dimensionen bis in eine Tiefe von mehreren Metern.

Zur Auswertung der Ergebnisse und zur Auswahl der weiter zu untersuchenden Flächenausschnitte wurden die verortbaren Visualisierungen aus der geophysikalischen Prospektion mit historischen Quellen und den fernerkundlichen Datenebenen ins GIS eingepflegt.

Satellitenfoto eines landwirtschaftlich genutzten Gebiets, auf dem Bereiche für eine Magnetometerprospektion (weiß markiert) und eine profilorientierte Georadar-Untersuchung (rot markiert) eingezeichnet sind. Im Bildmittelpunkt befinden sich mehrere Gebäude und landwirtschaftliche Flächen.
© Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung
Prospektierte Flächen im Bereich des Lagers II [Esri Basemap Imagery].

Transformationen des Lagergeländes seit 1945


Eine chronologische Abfolge historischer Luftbilder und ihr Vergleich mit rezenten Orthofotoplänen zeigen, dass es seit Kriegsende zu massiven Veränderungen des ehemaligen Lagergeländes gekommen ist.

Die Überreste des Lagers wurden in den frühen Nachkriegsjahren abgeräumt, Flächen wurden teils überbaut, größtenteils aber unter Pflug bzw. Ackerbau genommen. Nur der kleine, von Bäumen und Sträuchern bestandene und als heutiger Friedhof "Kriegsgräberstätte Aschendorfermoor" gekennzeichnete Teil des ehemaligen Lagergeländes bietet heute Raum für das Gedenken an die Opfer. Dabei wird die Bezeichnung  “Kriegsgräberstätte” den Umständen nur bedingt gerecht: dies mit Blick auf die Verbrechen und ihre Opfer einerseits, andererseits hinsichtlich der oft ungeklärten Grablagen auf solchen Friedhöfen [Ein weiteres Beispiel aus unseren Forschungskontexten bietet etwa die Kriegsgräberstätte Rurberg, auf der sowjetische Opfer der NS-Gewalt begraben liegen].

Die "Kriegsgräberstätte" im Bereich des ehemaligen Lagers II, so wird aus der Luftbildauswertung deutlich, unterlag seit ihrer Einrichtung ebenfalls mehrfacher Transformation. Der Friedhof wurde in mehreren Phasen errichtet und umgestaltet, wobei es offenbar auch zu nicht unbeträchtlichen Bodenaufschüttungen gekommen ist.

Keines der verfügbaren Luftbilder aus der Zeit nach April 1945 - das erste stammt aus dem Juni desselben Jahres - zeigt erkennbare Spuren möglicher Grablagen oder auch nur Hinweise, die auf mögliche Grablagen hindeuten.

Bei der Interpretation ist zu beachten, dass fotografische Luftaufnahmen nicht das eigentliche Gelände erfassen, sondern nur die aus der Luft sichtbaren, das Sonnenlicht reflektierenden Oberflächen. Details sind also je nach Wetterlage und Flughöhe sowie Qualität der Aufnahme sehr unterschiedlich differenziert erkennbar.

Interpretation eines LiDAR Modells des Lagergeländes


Das lasergestützte Fernerkundungsverfahren LiDAR (Light Detection and Ranging) bietet dagegen die Möglichkeit, die Oberfläche mit Hilfe von Laserimpulsen engmaschig “abzutasten”. Aus den reflektierten Impulsen ergibt sich ein genaues Modell der Oberfläche, aus dem schließlich mit mathematischen Verfahren die Vegetation und Bebauung ausgeblendet werden kann. Sichtbar bleibt die Bodenoberfläche.

Aus diesen Daten können dann sehr genaue Geländemodelle hergestellt werden. Oft geben LiDAR-Geländemodelle erste Hinweise auf die Lokation und Ausdehnung archäologischer Strukturen.

Im Fall Aschendorfermoor ist das Gelände durch die landwirtschaftliche Nutzung allerdings so weit verändert worden, dass sich kaum mehr Überreste der historischen Bebauung ausmachen lassen.

Digitales Geländemodell einer ländlichen Fläche, erstellt mit LiDAR-Daten. Zu sehen sind Felder, Wege und Geländeunebenheiten rund um ein auffälliges, rechteckiges Areal sowie ein großer Teich im oberen rechten Bereich des Bildes. Es zeigt den Bereich der vorherigen Luftbilder.
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LiDAR Modell des Lagergeländes.

Im Bereich des Häftlingslagers selbst deuten sich im Geländemodell keine detektierbaren Befunde an.

Auf das Potential der Methode verweist allerdings die Beobachtung, dass die größeren zum Lager gehörenden Erdanlagen trotz ihrer Einebnung und Überpflügung sichtbar geblieben sind. Bis 1945 lag der nordöstlichen Lagerseite benachbart ein großer Sport- bzw. Appellplatz, der mit einem Erdwall umgeben war. Südlich davon befand sich ein Schießstand für die Wachmannschaften. Spuren beider Bauwerke sind tatsächlich noch in den vom Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN) - Regionaldirektion Osnabrück-Meppen - zur Verfügung gestellten LiDAR-Daten sichtbar geblieben.

Die Konturen beider Bauwerke sind durch minimale Bodenwellen, die sich an der Geländeoberfläche im LiDAR-Modell abzeichnen, erkennbar.

Aus diesen Beobachtungen kann geschlossen werden, dass alle Befunde, aber vor allem die kleineren Strukturen, wie Erdaufwölbungen, die auf Grablagen hindeuten, aber auch die Stempelfundamente der Baracken etc. entweder abgetragen oder überdeckt worden sind. Hierauf deutet auch das in der Pflugschicht des Ackers, der heute das Häftlingslager überdeckt, in dichter Streuung auffindbare Baumaterial, das auf die Existenz des Lagers und seine Zerstörung hindeutet.

Das LiDAR-Verfahren erfasst die Bodenoberfläche, gibt aber keine Einblicke in den Untergrund. Um zu erfahren, ob sich Spuren überdeckter Lagerstrukturen und der Gräber bzw. Gruben im Untergrund erhalten haben, ist also die Anwendung geophysikalischer Methoden erforderlich.

Prospektion des Lagergeländes


Die Magnetometerprospektion erlaubt, große begehbare Areale zu kartieren.

Das Verfahren ist aufgrund seiner Fähigkeit, große Flächen vergleichsweise rasch zu bearbeiten, gerade für den ersten „Blick in den Grund“ sehr gut geeignet und kann im besten Fall auch bereits tiefergehende Interpretationen möglicher archäologischer Strukturen im Untergrund erlauben. In jedem Fall bieten magnetometrische Ergebnisse eine unverzichtbare Basis für die Planung weitergehender geophysikalischer Untersuchungen, die für differenzierte Arbeiten, jedoch nur für die Vermessung kleinerer Flächen mit bereits grob identifizierten Anomalien, geeignet sind.

Im Fall Aschendorfermoor hat sich der Einsatz der Magnetometerprospektion im Bereich des Lagers und im Bereich der „Kriegsgräberstätte“ als aufschlussreich erwiesen.

Im Bereich des Häftlingslagers konnten wir auf acht bearbeiteten 40 x 40 Meter-Quadranten mehrere Lagerstrukturen kartieren, die trotz periodischer Pflugarbeiten im Boden erhalten geblieben sind. Die Magnetometerprospektion detektierte insbesondere Reste der Umzäunung des Lagers, Fundamentreste der Baracken bzw. die Trümmerfelder, die bei der Zerstörung der Baracken 1945 entstanden sind, einen in den Lagerplänen verzeichneten Löschwasserteich und ein dichtes Streumuster untertägiger Objekte, die auf Eisenteile und gebrannte Gebäudereste hindeuten.

Allerdings ließ sich das auf mehreren Lagerplänen genau verzeichnete Massengrab (B) nicht eindeutig auf den Kartierungen der Magnetometerprospektion, den so genannten Magnetogrammen, nachweisen.

Im Bereich des auf zwei Lagerplänen eingezeichneten Massengrabes (B) erschienen zwar mehrere kleinere Anomalien, diese ließen sich indes nicht zweifelsfrei interpretieren. In diesen Magnetogrammen sine archäologische Befunde, wie Gräben und Gruben, vor allem dann nachweisbar, wenn deren Verfüllung andere physikalische Eigenschaften aufweist, als das sie umgebende Bodenmaterial.

Dagegen ist der Boden im Bereich des Lagers Aschendorfermoor von einer hohen Homogenität des Materials gekennzeichnet: Die geologische Kartierung weist das Bodenausgangsgestein des Untersuchungsgebiets als ehemaliges Dünenmaterial bzw. feinsandiges Bodensubstrat aus, das vermutlich während der Trockenlegungsarbeiten mit beträchtlicher Mächtigkeit “umgewendet” bzw. vermischt worden ist.

Verfüllungen und natürlich gelagerter Boden lassen sich unter solchen Bedingungen nur schwer unterscheiden.

In unseren Magnetogrammen ließ sich der verfüllte Löschwasserteich des Häftlingslagers deutlich identifizieren, das verfüllte Massengrab jedoch nicht.

Im Rahmen einer geoarchäologischen Erkundung wäre nun zu klären, ob der Löschwasserteich bei der Beseitigung der Lagerreste mit Trümmermaterial verfüllt worden ist, das sich nun aufgrund seiner untypischen Beschaffenheit abzeichnet. Im Bereich der vermuteten Grablagen zeigt die Magnetometrie indes noch keine eindeutigen Hinweise auf eine Grube bzw. Grablage.

In einem nächsten Untersuchungsschritt soll daher das Füllmaterial der beiden Befunde miteinander verglichen werden.

Digitales Geländemodell einer Agrarlandschaft mit eingetragenen Untersuchungsflächen (rot umrandet) für Grablagen A und B. Im oberen Bereich ist ein Magnetogramm eingezeichnet, das auffällige Muster im Boden anzeigt. Die Legende erläutert die Darstellung von Bodensignaturen und Messdynamik.
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Georeferenzierte Magnetogramme des Lagergeländes.
Farbcodiertes digitales Geländemodell zeigt ein ehemaliges Lagergelände. Strukturen wie Lagerzaun, Gebäude, mögliche Massengräber, Feuerlöschteiche und Sportplatz sind mit Linien und Farben hervorgehoben und in der Legende erklärt. Der Hintergrund basiert auf LiDAR-Daten.
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Lagegenaues Verhältnis von magnetometrischen Befunden und ehemaliger Lagerinfrastruktur.

Bei unserer Untersuchung hat sich die Magnetometerprospektion also als weiterführend bei der Detektion der Überreste und Spuren von Infrastrukturen des Lagers erwiesen. Ein Ziel des Vorhabens im Bereich der Methodenentwicklung besteht daher darin, weitere Erfahrungen mit dem Einsatz magnetometrischer Verfahren auf den Böden des Emslandes zu sammeln.

Um robustere Aussagen in Bezug auf Vorhandensein und Beschaffenheit einer Grablage im Häftlingsbereich des Lagers bzw. der nach der Umbettung der Opfer zurückgebliebenen Grube zu erreichen, wurden zusätzlich zur Magnetometerprospektion in einem erweiterten Bereich um die in den historischen Quellen bezeichneten Grablagen profilorientierte Georadarmessungen durchgeführt. Dabei wurden 15 bis zu 80 Meter lange Streifen abgesteckt, entlang derer die kartierte Grablage mehrmals und in unterschiedlichen Richtungen mit dem Georadar gekreuzt und geschnitten wurde.

Die Daten dieser extensiven und eher explorativen Georadar-Messungen, sogenannte Radargramme, lassen ebenfalls noch keine eindeutigen Schlüsse auf einen Befund zu. Zwar sind in einigen Radargrammen schwache Schicht-Reflexionsmuster zu beobachten, die auf eine Verfüllung im Bereich leicht südöstlich der Einzeichnungen auf den Lagerplänen hindeuten könnten. In vorsichtiger Interpretation lässt sich daher vermuten, dass es tatsächlich eine größere Grube in diesem Bereich gegeben hat, die allerdings nicht exakt an der in den Plänen bezeichneten Stelle lag.

Das Historische Luftbild vom 19. Juni 1945 zeigt eine landwirtschaftlich genutzte Umgebung mit Gebäuderesten. Schwarz umrahmt ist das Magnetogramm zur Grabungslage B eingeblendet, rot markiert die potentiellen Grablagen und Gebäudereste im Bereich von Grablage A. Informationen zur Magnetogrammtechnik sind eingetragen.
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Magnetogramme auf einem historischen Luftbild georeferenziert.

Für den zweifelsfreien Nachweis eines Befundes, der als (ehemalige bzw. exhumierte) Grablage interpretiert werden kann, sind jedoch weitere, ggf. auch minimalinvasive Erkundungen bzw. Bohrsondagen notwendig, die nach dieser ersten Annäherung an den Befund für die zukünftigen Untersuchungen vorgesehen sind.

Auf die durch die besondere Bodenbeschaffenheit zurückzuführenden, schwierigen Rahmenbedingungen geoarchäologischer Untersuchungen deuten auch die während der Prospektion durchgeführten explorativen Pürckhauer-Bohrsondierungen hin.

Bei solchen Sondierungen werden Bodenprofile entnommen, die den Boden bis in eine Tiefe von ca. einem Meter abbilden. Diese Sondierungen zeigten, dass die Boden- und Sedimentprofile im Lagerbereich starken anthropogenen Veränderungen unterworfen waren, da im Rahmen der Moorkultivierung bereits vor der Errichtung des Lagers massive Bodenverbesserungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Inwiefern solche Maßnahmen die Ergebnisse geophysikalischer Messungen im Lagerbereich beeinflussen, gilt es in weiteren Untersuchungen ebenfalls zu überprüfen.

Untersuchungen im Bereich der Kriegsgräberstätte


Der Grablage A auf der Kriegsgräberstätte Aschendorfermoor und in ihrer Umgebung galt unser besonderes Interesse im Rahmen der Untersuchung.

Historische Dokumente legen nahe, dass in diesem Areal Massengräber zu vermuten sind, die auf die Umbettungen im Jahr 1946 zurückzuführen sind. Zugleich verorten einige Dokumente auch die ursprünglichen Erschießungsgruben aus dem April 1945 sehr dicht am Ehrenfriedhof bzw. sogar als in diesen hineinragend.

Gesicherte Informationen liegen bisher aber weder über die Lage, Größe oder Anzahl der Gräber im Bereich des Friedhofs, noch über die Lage der ursprünglichen Gruben vor.

Auch in diesem Bereich geben die historischen Luftbilder keine eindeutigen Hinweise. Allerdings lässt sich aus einer Zusammenschau der verfügbaren LiDAR-Geländemodelle, der geodätischen Vermessungen während der Prospektion und der Luftbilder aus der Nachkriegszeit die bauliche Entwicklung des Ehrenfriedhofs skizzieren.

Schwarzweißes Luftbild eines Feldes aus dem Jahr 1973, mit eingeblendeter Skizze der heutigen Gestaltung des Fiedhofs (weiß) und markierten Bereichen (rot) für Grablage A. Der Textkommentar erläutert die Überlagerung aktueller und historischer Informationen.
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Bezeichnete Grablagen und Baustrukturen der Kriegsgräberstätte.

In den 1950er und 1970er Jahren zeigt sich der Friedhof anders gestaltet als heute. Der Eingang befand sich zunächst an der Westseite. Von dort führte ein etwa 30 Meter langer Weg in südöstlicher Richtung zu einem massiven Gedenkstein aus Sandstein. Der Weg umrundete den Gedenkstein, bog dann nach Norden ab und endete nach etwa 20 Metern.

Heute ist von dieser Ausgestaltung nur der massive Sandsteinblock geblieben, der am Rand der neu gestalteten Anlage steht und von Gestrüpp zugewuchert ist. Der Eingang zum Friedhof ist an die Südseite der Anlage verlegt. Ein gepflasterter Weg führt von dort im Bogen zu einem Gedenkstein in der Mitte einer Lichtung, der auf einem erhöhten Rondell aufgestellt wurde. Der Gedenkstein wird heute von zwei adulten Birken flankiert.

Im Gegensatz zum Lagerbereich zeigt die Kombination aus Magnetometrie und Georadar im Bereich des Friedhofs einen eindeutigen Befund. Dabei ermöglichen die geophysikalischen Messungen, einen räumlichen Bezug zum Lagerbereich herzustellen: Auf dem Magnetogramm zeichnen sich deutlich die Reste einer von Südwest nach Nordost streichenden Umzäunung des Häftlingsbereichs ab. Der Friedhof ragt also in das ehemalige Lagergelände hinein.

Die Zaunreste treten im Bereich des Friedhofs viel deutlicher und stärker zusammenhängend auf, als auf dem Lagerareal. Ursächlich hierfür ist, dass im Bereich der Kriegsgräberstätte kein Ackerbau stattgefunden hat, so dass sich die Zaunreste stärker ungestört in den oberen Bodenschichten erhalten haben. Sie erscheinen auch in jedem Radargramm als zusammengeballte, stark reflektierende Eisenfragmente in einer Tiefe von bis zu 50 cm unter der gegenwärtigen Geländeoberfläche.

LiDAR-basiertes digitales Geländemodell eines Ackers mit rot markierten Strukturen der Grablage A. Im Zentrum sind Magnetogrammdaten zu sehen. Darüber wurde die  aktuelle Ausgestaltung des Fiedhofs gelegt, ergänzt durch einen blauen Pfeil, der die Länge und Richtung eines besprochenen Georadarprofils kennzeichnet. Legende mit technischen Angaben steht links im Bild.
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Magnetometrie- und Lidarbefunde im Bereich der Kriegsgräberstätte.

Im Hinblick auf die Frage nach Lage und Anzahl von Massengräbern im Bereich des Friedhofs bzw. im Randbereich des vormaligen Lagergeländes sind neben den Resten der Zaunanlage noch mindestens drei weitere große Anomalien von Bedeutung, die von der Magnetometrie auf den begehbaren Flächen des Ehrenfriedhofs erfasst worden sind.

Eine Anomalie auf der Freifläche südlich des Rondells und links des Weges, zeigt magnetisches Verhalten, das auf stark erhitzte nicht-metallische Objekte im Untergrund zurückzuführen ist. Sie stimmt räumlich mit einem dunklen Bereich auf einem historischen Luftbild aus den 1950er Jahren überein. Derzeit ist die Bedeutung dieser Anomalie nicht eindeutig zu klären.

Zwei weitere intensive und positive (schwarze) Anomalien innerhalb des Rondells deuten auf zwei sich ähnelnde Befunde im Untergrund hin: größere Gruben, die auf eine Anreicherung bzw. ein Vorhandensein von stark magnetischem Material in ihrer Verfüllung hinweisen. Die Grube in der Mitte des Rondells bzw. im Bereich des Gedenksteins wurde von uns zur genaueren Untersuchung mittels Georadar ausgewählt.

Georadar-Schnitt mit Wellenmustern (unten erläutert) und Kommentaren zu auffälligen Schichten und Böden. Farbig unterlegte Skizzen deuten die ehemals vorhandene Oberfläche, mögliche Grubenverfüllungen und Zaunreste an. Messskalen am oberen und rechten Rand.
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Radargramm aus dem Bereich der Kriegsgräberstätte (zur Lage und Verlauf des Radargramms s. Abbildung oben)

Der ausgewählte Bereich wurde systematisch in einem engen Muster von Messbahnen im Abstand von 50 cm profilorientiert und aus verschiedenen Richtungen mit dem Georadar durchleuchtet.

Die Abbildung zeigt ausgewählte Ergebnisse der profilorientierten Georadarerkundung innerhalb des Rondells im Ehrenfriedhof.

Oben ist das Radargramm abgetragen, das die magnetische Anomalie bzw. Grube in der Mitte des Rondells schneidet (siehe auch die Abbildung mit dem Magnetogramm weiter oben). Unten ist die Interpretation des Radargramms eingezeichnet.

Als Linien sind dabei Schichtreflexionen und als Sterne bzw. Spiralen ausgewählte Wellenbeugungen an Objekten (Hyperbeln) gekennzeichnet. In orange sind diejenigen Schichtreflexionen bzw. -übergänge markiert, die eine mehr oder minder intensive Eisenanreicherung aufweisen.

Die Schichtreflexionen zeigen, dass eine nach Nordwesten einfallende Grube in den anstehenden Boden eingetieft ist.

Im betrachteten Radargramm ist die maximal-gemessene Tiefe dieser Grube von etwa 2 m zu erkennen. Benachbarte Radargramme zeigen Tiefen, die sich um 1 m unter der heutigen Geländeoberfläche (GOF) bewegen. Wir nehmen an, dass Tiefen von 2 m unter der GOF zum Zeitpunkt des Anlegens der Grube nicht erreicht wurden, denn das Radargramm zeigt sehr deutlich, dass auf der ehemaligen Oberfläche bis zu 50 cm Bodenauftrag und Rondellauffüllung liegen.

Das wiederum bedeutet, dass die Grube nach dem Aushub eine maximale Tiefe von etwa 1,5 m unter GOF aufwies. Außerdem kann durch Zusammenschau aller ausgewerteten Radargramme die Grubengröße auf etwa 3 x 8 m geschätzt werden, wobei die Ausrichtung der längeren Seite etwa von Ost nach West strich und der abgeflachte Eingang zur Grube im südöstlichen Abschnitt des Rondells lag.

Zur weiteren Interpretation der Magnetogramme kann aus den Befunden der Radargramme abgeleitet werden, dass die - offensichtlich mit magnetischen Eisenverbindungen angereicherten auf der Abbildung mit dem Radargramm orange gekennzeichneten - Schichtübergänge für die magnetische Anomalie im Mittelpunkt des Rondells verantwortlich sind.

Wie es zur Entstehung dieser Eisenanreicherung an der tiefsten Stelle der Grube kam, kann derzeit nicht verlässlich geklärt werden. Vergleichbare Georadaruntersuchungen an Massengräbern am Friedhof Dalum (in der Nähe des ehemaligen Lagers Dalum im Emsland) zeigten sehr ähnliche Schichtreflexionen in Radargrammen. Es ist also durchaus möglich, dass solche Radargramm-Muster typisch für Massengräber in sandigen Bodensubstraten sind.

Erkenntnisse und Perspektiven


Die der Universität Osnabrück bisher nicht erteilte Betretungserlaubnis zur Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen auf den dem Lager angrenzenden Flächen verhindert bisher die Prospektion des Areals auf dem die Erschießungsgruben und Massengräber des “Herold"-Massakers im April 1945 zu vermuten sind.

Wichtiges Anliegen in der weiteren Forschung ist damit, die Prospektion auf diese Flächen auszudehnen.

Die in der ersten Prospektion im September 2019 erzielten Ergebnisse verweisen darauf, dass die Kombination geschichtswissenschaftlicher und geoarchäologischer Methoden bei der nicht-invasiven Erforschung von Massengräbern und ehemaligen Lagerstandorten aus dem Kontext des Zweiten Weltkrieges bzw. der Zeit des Nationalsozialismus großes Potential besitzt. Bei unserer Untersuchung hat sich gezeigt, dass die historischen Quellen nur wenige belastbare Hinweise auf die Lage von Massengräbern bieten. Insbesondere Zeugnisse aus der Nachkriegszeit haben die Erschießungsgruben im Aschendorfermoor zwar einem eingegrenzten Gebiet, in dieser Fläche allerdings ausgesprochen ungenau bezeichnet. Eine Dokumentation der 1946 vorgenommenen Exhumierungen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, so dass in der Tat unklar bleibt, wo genau die Opfer des “Sonderkommandos Herold” ermordet wurden, wo sie ursprünglich begraben wurden und wo ihre sterblichen Überreste heute ruhen.

Weiterführende Erkenntnisse zu diesem Befund konnten im vorliegenden Fall durch das Hinzuziehen von fernerkundlichen Daten einerseits, nicht-invasiven Messungen mittels Magnetometrie und Georadar andererseits erarbeitet werden. Obwohl die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, hat sich bereits gezeigt, dass sich die Überreste von Lagerinfrastrukturen und auch von verfüllten Gruben, die als Massengräber angesprochen werden können, auf diese Weise detektieren und vermessen lassen.

Unser Ansatz und die mit seiner Hilfe erarbeiteten Ergebnisse unterstreichen, dass Überreste zerstörter und/oder überdeckter und also an der Oberfläche nicht mehr sichtbarer Gewaltorte auf diese Weise erschlossen werden können. Die Integration von historischen und geowissenschaftlichen Methoden bzw. Datenebenen erschließt weiterführende Möglichkeiten der Bearbeitung von Forschungsfragen auch zu sehr rezenten historischen Ereignissen, die häufig in den konventionellen Quellen weit weniger gut dokumentiert sind, als vermutet.

Die Ergebnisse einer so konzipierten Konfliktlandschaftsforschung tragen nicht nur zur Klärung von Ereignishorizonten bei, sondern bieten auch Erkenntnisse über die Transformation von Gewaltorten des Zweiten Weltkrieges in den vergangenen 75 Jahren. Sie können damit Beiträge zur Dokumentation, Rekonstruktion und schließlich der Vermittlung der Geschichte solcher Orte bieten, die insbesondere auch das Kontinuum ihrer ständigen Veränderung und Überformung erschließt. Daraus ergeben sich unmittelbare Schnittstellen zur Gedenkstättenpädagogik bzw. zur Musealisierung von Gewaltorten.

Weitere Explorationen vor Ort sollen dazu beitragen, nicht nur Forschung und Vermittlung, sondern insbesondere auch die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte Esterwegen zu unterstützen und Lücken in der Aufarbeitung des “Herold"-Massakers zu schließen. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich innovative digitale Konzepte für Dokumentation und Vermittlung erarbeiten, anhand derer die wissenschaftlichen Ergebnisse nachhaltig für die Erinnerungsarbeit genutzt werden könnten.

Geoinformationssysteme erweisen sich dabei als wichtiges Werkzeug. Sie erlauben eine systematisch-chronologische Analyse raumbezogener historischer und rezenter Quellen, bei der Raum- und Zeitbezug die unterschiedlichen Befunde und Repräsentationen in ein produktives Verhältnis setzen und analysierbar machen. So können aus der Rekonstruktion einzelner Zeitschichten in historischen Luftbildern oder auch Karten, Plänen und Planskizzen differenzierte Betrachtungen über den materiellen Zustand und die diskursive bzw. narrative Produktion von Gewaltorten bzw. Konfiktlandschaften hergeleitet werden.

Die geodätischen Konventionen und die Maßstabstreue, die Geoinformationssystemen zugrunde liegen, tragen dazu bei, Varianzen in der Repräsentation vermeintlicher historischer Realität in Quellen sichtbar und diskutierbar zu machen; natur- und sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Methoden greifen produktiv ineinander. Dies gilt insbesondere auch für retrospektive Visualisierungen und Rekonstruktionen, wie die in dieser Studie genutzten Planskizzen mit den Verortungen der Massengräber. Damit erlauben uns Geographische Informationssysteme eine Integration und eine umfassende analytische Zusammenschau von geo- und geschichtswissenschaftlichen Perspektiven.

Kritisch zu diskutieren bleibt dabei selbstverständlich der Einfluss von bildgebenden Verfahren, die Messdaten repräsentieren, sowie auch insgesamt kartographischer Konstruktionen auf den Erkenntnisprozess. Gerade die Integration historischer Dokumente in georeferenzierte Darstellungs- und Analyseformate steckt methodisch noch in ihren Anfängen.

Im Bereich des Lagergeländes haben unsere Untersuchungen ergeben, dass trotz ereignisnaher Zerstörung und bis in die Gegenwart andauernder materieller Transformationen im Areal durch landwirtschaftliche Nutzung, immer noch zahlreiche Reste der Lagerinfrastruktur im Boden erhalten geblieben sind bzw. sich im Untergrund in Überresten und detektierbaren Bodenverlagerungen abzeichnen. Geowissenschaftliche Erkundungsverfahren können diese Überreste effizient und präzise detektieren und dokumentieren.

Durch die Anwendung dieser Verfahren an Grablagen im Bereich des Friedhofs konnten wir wertvolle Erfahrungen im Hinblick auf zukünftige Bewertungen geophysikalischer Messergebnisse bei der Suche und Erforschung der Befundklasse “Massengrab” gewinnen. Da geophysikalische Erkundungen zerstörungsfrei bzw. nicht-invasiv erfolgen, lassen sich Flächen mit dieser Befundklasse auch mit der gebotenen Pietät bearbeiten.

Zum jetzt erreichten Stand der Untersuchung sind die erforderlichen explorativen Ansätze im Aschendorfermoor bzw. Lager II erprobt. Eine an die bestehenden und neu entstandenen Fragestellungen sowie an das Areal angepasste Methodenkette ist entwickelt. Im nächsten Schritt gilt es, die magnetometrische Kartierung aller begehbaren Bereiche des ehemaligen Lagergeländes zu realisieren und mittels minimalinvasiver Bohrsondagen die Befunde der Magnetometrie durch eine Untersuchung der Prozesse im “Archiv Boden” weiter zu differenzieren.

Neben einer genaueren Untersuchung der erhaltenen Lagerinfrastrukturen - und etwa Überlegungen, wie deren unterirdische Kartierung auch in die geschichtsdidaktische Vermittlung des “Gewaltortes Aschendorfermoor” einbezogen werden kann - streben wir an, die Suche nach Massengräbern im Bereich der Grablage A und der Umgebung des Ehrenfriedhofs fortzuführen. Daneben soll auch die noch nicht beforschte Grablage C in die Untersuchung einbezogen werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt können vier Befunde mit Blick auf die Ereignisrekonstruktion festgehalten werden.

1. Der Häftlingsbereich des Lagers II/Aschendorfermoor ist im Untergrund des Geländes durch deutliche Spuren erhalten.

2. Im Lagergelände (Grablage B) konnten Hinweise auf eine verfüllte Grube im Umfeld der in den Quellen bezeichneten Punkte detektiert werden.

3. Im Bereich der Kriegsgräberstätte konnten mehrere verfüllte Gruben detektiert werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit den Umbettungen im Jahr 1946 in Zusammenhang stehen.

4. Untersuchungen der großen und sehr ungenau verorteten Erschießungsgruben waren bisher aus rechtlichen Gründen nicht möglich, sollten aber dringend umgesetzt werden.

Alle Befunde müssen in weiteren Untersuchungen vor Ort erhärtet und differenziert werden.

Die Autor*innen

  • Dr. Andreas Stele ist Referent für Geophysik am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und arbeitete im Projekt “Boden | Spuren. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur”.
  • Mirjam Adam, M.Ed., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt “Lernort ,Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald”.
  • Jacqueline Meurisch, BA, ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt “Boden | Spuren. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur”.
  • Marie-Christin Wolffgang, BA, hat ihre Bachelorarbeit über die Verortung der Massengräber in den Gerichtsakten des Herold-Prozesses verfasst.
  • David Krull ist studentische Hilfskraft im Projekt “Lernort ,Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald”.
  • Prof. Dr. Christoph Rass ist Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaftsforschung (IAK) der Universität Osnabrück und leitet deren Projekte im Bereich der Neuesten Geschichte.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bibliographie

  • Aktionskomitee DIZ Emslandlager. Unter URL:  https://www.diz-emslandlager.de/, letzter Zugriff: 03.04.2020.
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Quellen

 

Skizzen

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  • Plan  des Lagers II Aschendorfermoor  aus dem Prozess vor dem britischen Militärgericht in Oldenburg, in: Strafverfahren gegen Wachpersonal und Gefangene der Emslandstraflager wegen Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Prozess gegen Willi Herold, geb. 1925, gest. 1946: NLA OL Rep. 946 Best. 140-5 Nr. 1253, 1946, Blatt 47.
  • Skizze basierend auf der Aussage des Zeugen Erich Kurtz, in: Strafsache gegen Wilhelm Sperling, Wirtschaftsoberinspektor, geb. 02.04.1892 in Milostowo, ehemaliger Leiter der staatlichen Mooradministration Aschendorfermoor wegen Mordes an Häftlingen des Strafgefangenenlagers II Aschendorfermoor (Massenerschießungen von Häftlingen durch das „Sonderkommando und Schnellgericht Herold“ und Angehörige der Wachmannschaften): NLA OS Rep. 945 Akz. 2001/054 Nr. 210, 1957 - 1964, Blatt 134.
  • Skizze des Zeugen Friedrich Wilhelm Arndt, in: Strafsache gegen Wilhelm Sperling, Wirtschaftsoberinspektor, geb. 02.04.1892 in Milostowo, ehemaliger Leiter der staatlichen Mooradministration Aschendorfermoor wegen Mordes an Häftlingen des Strafgefangenenlagers II Aschendorfermoor (Massenerschießungen von Häftlingen durch das „Sonderkommando und Schnellgericht Herold“ und Angehörige der Wachmannschaften): NLA OS Rep. 945 Akz. 2001/054 Nr. 210, 1957 - 1964, Blatt 126.
  • Skizze des Zeugen Josef Kradochwiel, in: Strafverfahren gegen Wolbert Sonntag, geb. am 30.01.1895 in Papenburg, Aufseher im Strafgefangenenlager II Aschendorfermoor, wegen des Vorwurfs der Erschießung von 45 Gefangenen Anfang April 1945 als Mitglied des „Sonderkommandos Herold“: NLA OS Rep. 945 Akz. 6/1983 Nr. 322, 1958 - 1960, Blatt 1.

 

Luftbilder

  • Darstellung des ehemaligen Lagerareals im rezenten Luftbild/Satellitenbild von: Esri (Basemap), DigitalGlobe, GeoEye, Earthstar Geographics, CNES/Airbus DS, USDA, USGS, AeroGRID, IGN, and the GIS User Community.
  • Historisches Luftbild des ehemaligen Konzentrationslagers Aschendorfermoor, Mai 1937 (NLA OS K300 Nr. 23 H Bl. 62).
  • Historisches Luftbild des ehemaligen Konzentrationslagers Aschendorfermoor, Juni 1973 (NLA OS K300 Nr. 30 H Bl. 62).
  • Luftbild vom 19. Juni 1945 (Nacional Collection of Aerial Photography (NCAP), Scotland).
  • Georeferenzierte Darstellung des Ausschnitts eines Luftbildes vom 24. März 1945 von (Nacional Collection of Aerial Photography (NCAP), Scotland).

 

Fotografien

  • Exhumierung der von Willi Herold im Lager Aschendorfermoor erschossenen Strafgefangenen: NLA OS Slg. 50 Akz. 48/1988 Nr. 232, Februar 1946.

 

Karten

  • Kartenausschnitt “Aschendorfermoor” von ©OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA. Unter URL:  www.openstreetmap.org, letzter Zugriff: 10.04.2020 (über Esri Basemap bezogen).

 

Textquellen

  • Strafverfahren gegen Wachpersonal und Gefangene der Emslandstraflager wegen Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Prozess gegen Willi Herold, geb. 1925, gest. 1946: NLA OL Rep. 946 Best. 140-5 Nr. 1253, 1946.