IAK WP 2: Detektion und Differenzierung historischer Grablagen
Nutzung nicht-invasiver Methoden zur Detektion und Differenzierung historischer Grablagen: Exemplarische Prospektion auf der Kriegsgräberstätte Vossenack (Kreis Düren)
Ein Bericht von Andreas Stele, Frank Möller, Mirjam Adam, Christoph Rass.
Working Paper Nr. 2, Version 1.0, 10.09.2020
Einführung und Ziele der Prospektion
Der Zweite Weltkrieg und die NS-Gewaltherrschaft haben Millionen Opfer gefordert und eine vielschichtige und mehrdimensionale Topographie des Terrors, Todes, der Gewalt und Zerstörung hinterlassen. Dazu gehören die Tatorte und vor allem die Gräber der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Genozid, insbesondere der Shoah, die bis heute die eindringlichsten und unmittelbarsten Spuren jener Zeit bleiben.
Eine noch ungelöste Aufgabe in diesem Zusammenhang ist in vielen Fällen nicht nur eine angemessene Bewahrung und Dokumentation jener Orte, sondern auch das Etablieren von anerkannten Gedenkorten. Ganz wesentlich ist noch immer auch das Auffinden der Gräber zahlloser noch unbekannter Opfer, die in unmarkierten Gräbern ruhen.
Bereits seit einigen Jahren bietet der Einsatz nicht-invasiver Methoden der Fernerkundung und Geophysik dabei besondere Chancen, um die verbleibenden Opfer zu finden und ihnen eine angemessene Ruhestätte zu geben. Dies zum einen, da entsprechende Ansätze die Suche nach unbekannten Grablagen in großen Arealen ermöglichen. Zum anderen wahren die genannten Methoden die Totenruhe, die ein grundlegender Parameter bei der Auseinandersetzung mit Friedhöfen und Gräbern ist. In der Holocaust-Forschung haben sich, in einem neuzeitlichem Kontext, entsprechende nicht-invasive Methoden bereits etabliert [Sturdy Colls 2012, 2015; Vonnak et al. 2020]. Ihr Einsatz kann an Erfahrungen aus der Schlachtfeldarchäologie und der Konfliktlandschaftsforschung anschließen, die sich ebenfalls bereits seit geraumer Zeit mit dem Einsatz nicht-invasiver Methoden bei der Untersuchung von Friedhöfen und Gräbern bedienen [Majewska 2017; Blau et al. 2018; Downs et al. 2020].
Gemeinsam ist diesen Forschungsfeldern, dass die Todesorte und Grablagen von Opfern kriegerischer oder genozidaler Gewalt, etwa in Vernichtungs- oder Konzentrationslagern oder auch im Umfeld von Kriegsgefangen- oder Internierungslagern, oft unbekannt geblieben, kaum dokumentiert oder durch nachträgliche Eingriffe wie Exhumierungen, Umbettungen oder ihre Zerstörung durch Baumaßnahmen stark gestört sind - oder schlicht vergessen wurden. Eine systematische Detektion, Dokumentation und Kennzeichnung, bei der geschichtswissenschaftliche und naturwissenschaftliche bzw. archäologische Methoden integriert eingesetzt werden, ist daher vielerorts eine drängende Notwendigkeit.
Geht es um Forschung, Dokumentation und Vermittlung im Kontext der Opfer von Gewalt und Genozid, erfolgt die Annäherung und der Umgang mit den Befunden in bestimmten Rahmungen. Dies gilt ebenso für die Shoah wie für die Aufklärung rezenter Kriegsverbrechen [Haglund et al. 2001; Kalacska und Bell 2006; Verpoorten 2012]. Ein anderes Gebiet, in dem solche Ansätze zum Einsatz kommen, ist die Erforschung von ,Soldatenfriedhöfen’ und ,Kriegsgräberstätten’ sowie vergleichbarer Anlagen bzw. von Grablagen auf Gefechtsfeldern kriegerischer Konflikte, insbesondere auch aus dem Kontext der Weltkriege bzw. des 20. Jahrhunderts [Kostyrko und Kobiałka 2020; Rubio-Melendi et al. 2018; Pollard und Banks 2013; Conyers 2006].
Dabei ist die Konnotation eine andere, da die zu untersuchenden Gräber kritisch in Bezug auf die Rolle von Soldaten als Gewaltakteure betrachtet werden müssen. Denn die Rolle von Soldaten ist durchaus ambivalent: Kombattanten verursachen als Handlungsträger kriegerischer Gewalt Tod und Verwundung, die Gewaltorte produzieren - bis sie mitunter selbst dieser Gewalt zum Opfer fallen. “Soldatenfriedhöfe” sind dabei im 20. Jahrhundert zunächst eher Orte einer unkritischen Heldenverehrung geworden als Ankerpunkte für eine kritische Auseinandersetzung mit der ,Produktion’ von Tod durch Krieg und der Doppelrolle von Soldaten als Täter und Opfer [Rass und Lohmeier 2010].
Bewegen wir uns im Kontext des “Dritten Reiches” bzw. des Zweiten Weltkrieges verlangen die Art und Weise der deutschen Kriegführung sowie die intensive Verstrickung der Wehrmacht - und anderer militärischer/paramilitärischer Organisationen des NS-Staates - in die Verbrechenskomplexe von Vernichtungskrieg, Genozid und Holocaust einer Annäherung an (Soldaten-)Gräber eine kritische Differenzierungen ab. Die Ambivalenz der getöteten Soldaten als Gewaltakteure und Gewaltopfer gilt es mitzudenken, auszuhalten und kritisch zu thematisieren, wenn es um die Bedeutungszuschreibungen geht, die solche Orte und ihre Erforschung erfahren.
Dies gilt umso mehr, wenn es um die Untersuchung von Gräbern und Grablagen geht, die prominenten TäterInnen bzw. KriegsverbrecherInnen zuzurechnen sind. Nicht zuletzt, weil deren Gräber im Vergleich zur häufig anonymen Beisetzung der Opfer deutlich markiert sind, mitunter gar als “Ehrenmale” oder Gedenkorte inszeniert und bisweilen zu Schauplätzen problematischer geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Praktiken und Zuschreibungen werden (s. Abb. 1 und 2). Unter den zahlreichen aktuellen Fällen stechen etwa die Auseinandersetzungen um das Grab von Alfred Jodel auf der Fraueninsel im Chiemsee heraus. Dem 1945 als Kriegsverbrecher hingerichteten Wehrmachtgeneral ist dort ein Scheingrab gewidmet, das zum Schauplatz kritischen Protestes und affirmativer Aufmärsche wird [Spiegel 2019; BR 2020]. Wie viele andere Soldatenfriedhöfe ist auch die Kriegsgräberstätte Vossenack immer wieder Schauplatz von Gedenkveranstaltungen, die ein einseitiges und bisweilen revisionistisches Geschichtsbild rund um die im Zweiten Weltkrieg getöteten Wehrmachtangehörigen reproduzieren [ibs; DF 2017; Möller und Fings 2016]
Die Bedeutung des Grabes auf der Kriegsgräberstätte Vossenack in der Eifel, das dem “Generalfeldmarschall” der Wehrmacht, Walter Model, zugeschrieben wird, verdeutlicht solche Zusammenhänge exemplarisch und kann als ein Kristallisationspunkt solcher Praktiken gelten. Die Kriegsgräberstätte Vossenack wurde, wie die benachbarte Kriegsgräberstätte Hürtgen, nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, um dort die sterblichen Überreste von Soldaten, später auch von Zivilisten, zu bestatten, die in der Endphase des Zweiten Weltkrieges im Rheinland getötet worden waren. Über Jahrzehnte erfolgten dort Umbettungen, die zu einer Verdichtung der Grablagen auf den genutzten Flächen führten. Eine dieser Umbettungen betraf den prominenten und überzeugten Nationalsozialisten Walter Model, der möglicherweise Mitte der 1950er Jahre nach Vossenack umgebettet wurde, wo das Grab heute in der Mitte des Gräberfeldes liegt (s. Abb. 7).
Seitdem ein Grab von Walter Model auf dem Friedhof angelegt ist, hat sich dieses mit der prominenten Inszenierung des Grabes eines “Generalfeldmarschalls” inmitten “seiner” Soldaten zu einem Ort entwickelt, an dem ein regelmäßiger Zulauf von BesucherInnen erahnen lässt, dass es es sich dabei nicht nur um kritisch informierte Menschen handelt, die einen Gewaltort erkunden, sondern dass Interesse aus einem Spektrum dominiert, das von dark tourism bis zu revisionistischen, militaristischen und rechtsradikalen Einstellungen herrührt und die wirkmächtigen Bedeutungszuschreibungen unterstreicht, in deren Mittelpunkt jener überzeugte Nationalsozialist und Kriegsverbrecher steht.
Dabei irritiert der Umstand, dass es alles andere als geklärt scheint, ob es sich bei dem Grab, das Walter Model zugeschrieben wird, um die Ruhestätte seiner sterblichen Überreste handelt oder um ein symbolisches Grab. Denn die Umstände der Umbettung Mitte der 1950er Jahre sind im Wesentlichen ungeklärt und unbelegt. Diese Beobachtungen und Überlegungen haben eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung des Grabes und seiner Entstehung angeregt, die auch eine geophysikalisch-geoarchäologische Prospektion erfordern.
Die vorliegende Fallstudie integriert Magnetometrie und Georadar als ein Methodenpaar, das bei der Beforschung von Grablagen zwar bereits eingesetzt wird [Karski et al. 2019; Sturdy Colls 2015; Conyers 2006], jedoch als praktisch und theoretisch noch weiter entwickelt und breiter erprobt werden muss. Neben den empirischen Befunden interessieren daher auch Erkenntnisse zum Potential einer Methodenkette, die beim Ansatz der IAK von Herangehensweise der Geoinformatik und Fernerkundung über die naturwissenschaftlichen Methoden der Geophysik und Geoarchäologie bis zur Archäologie reicht und eng mit geschichts- und kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen verknüpft wird.
Dieser Arbeitsbericht bietet eine kurze Einführung in den historischen Hintergrund und einen Einblick in den Stand der Untersuchung und referiert erste Befunde einer zunächst explorativen Untersuchung der Walter Model zugeschriebenen Grablage und ihres Umfeldes auf der Kriegsgräberstätte Vossenack im August 2020. Diese Untersuchung verfolgte das Ziel einen Einblick in den aktuellen Zustand des untertätigen Teil des Grabes zu geben und zugleich eine Planungsgrundlage für weitere, ggf. archäologische Maßnahmen herzustellen.
Die aktuelle Prospektion ist Teil des Forschungsprojektes "Lernort 'Schlachtfeld' Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald", dass die interdiszipliänre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Rass, gefördert durch den Landschaftsverband Rheinland, zwischen 2020 und 2022 durchführt. Projekte der Osnabrücker Arbeitsgruppe nehmen gezielt Grablagen im Kontext von Konfliktlandschaften in den Blick. Aktuell werden neben den Kriegsgräberstätten Vossenack auch Untersuchungen auf der Kriegsgräberstätte Dalum sowie auf dem Ehrenfriedhof des Lagers II / Aschendorfermoor im Emsland. Die Leitung der geophysikalischen-geoarchäologischen Untersuchungen auf der Kriegsgräberstätte Vossenack lag bei Dr. Andreas Stele und erfolgte in Kooperation mit Frank Möller, der eine umfassende Rekonstruktion der Zusammenhänge zur Klärung der Frage anstrebt, ob Walter Model tatsächlich auf die Kriegsgräberstätte Vossenack umgebettet worden ist.
Zum historischen Kontext: Die Kriegsgräberstätte Vossenack
Die Kriegsgräberstätte Vossenack wurde in den Jahren 1949 bis 1952 durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angelegt. Den Entwurf dazu lieferte der Architekt Robert Tischler (1885-1959). Tischler gilt als Erfinder der Symbolkreuze, die in Dreier- und Fünfergruppen auf der Kriegsgräberstätte positioniert wurden und dabei neben der christlichen Botschaft, die von ihnen ausgeht, „auf eine militärische Formation anspielen“ [Ulrich et al. 2019, S. 242] (s. Video 1). Die Namen der Toten wurden – sofern sie bekannt waren – in kleine rechteckige Steinplatten eingraviert (s. a. Abb. 1). Bestattet bzw. umgebettet wurden auf der Kriegsgräberstätte vor allem deutsche Soldaten, die zuvor auf Gemeindefriedhöfen begraben worden waren; hinzu kamen Getötete, die in den umliegenden Wäldern und aus provisorischen Gräbern geborgen werden konnten. Auf der Kriegsgräberstätte Vossenack liegen mehr als 2.300 Kriegstote. Selbst heute finden dort noch weitere Bestattungen von sterblichen Überresten derjenigen statt, die bei Grabungen gefunden werden (Video 1).
Aus historischen Quellen geht hervor, dass bei der Anlage der Gräber auf der Kriegsgräberstätte Vossenack teils systematisch (Abb. 3), teils in einzelnen Umbetungsereignissen (Abb. 4) bestattet wurde. Im Rahmen eines einzelnen Umbettungsereignisses sollen auch die sterblichen Überreste von Walter Model auf die Kriegsgräberstätte Vossenack gebracht worden sein. Die Frage, ob Walter Models sterbliche Überreste tatsächlich auf die Kriegsgräberstätte Vossenack überführt wurden, ist in den zurückliegenden 65 Jahren öffentlich nicht gestellt worden. Ein Blick in die Korrespondenzen verschiedener Verwaltungsebenen des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) untereinander und mit weiteren Institutionen sowie in diejenigen des Kreises Düren mit verschiedenen Akteuren lassen aber erhebliche Zweifel an dieser vorgeblichen Umbettung aufkommen. Eine umfassende Darstellung des Sachverhalts folgt im Jahrbuch des Kreises Düren 2021, das im Herbst 2020 erscheinen wird, in einem Aufsatz von Frank Möller [Möller 2020]. Die folgende Darstellung fasst die Befunde vorab zusammen.
Nach Aussagen seines Sohnes Hansgeorg Model (1927-2016) beging “Generalfeldmarschall” Walter Model (1891-1945) am 21. April 1945 Suizid „in einem Wald bei Lintorf in der Nähe von Duisburg. Dort wurde er zunächst in einem Feldgrab beigesetzt. Am 26. Juli 1955 erfolgte die Überführung der sterblichen Überreste auf den Soldatenfriedhof Vossenack durch den Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge“ [Model und Bradley 1991, S XII]. Alle Erzählungen über die genauen Todesumstände Models beruhen letztlich auf einer 1951 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung seines Adjutanten Theodor Pilling [Model und Bradley 1991, S. 386-387]. Der genaue Todesort Models ist bis heute jedoch weder bekannt noch wurde er dauerhaft markiert. Fotos von der Beisetzung existieren nicht. Aus dem Testament Walter Models geht hervor, dass er nicht umgebettet werden wollte. Auch seine Familie war dagegen. Ein gutes Jahr vor der angeblichen Umbettung teilte Hansgeorg Model der Hauptgeschäftsstelle des VDK in Kassel mit, er wolle die Stelle, an der sich sein Vater im Ruhrgebiet erschossen habe, in Kooperation mit dem VDK, schlicht aber würdig herrichten lassen. Entsprechend drängt sich die Frage auf, wieso also dennoch eine Umbettung vollzogen worden sein soll und unter welchen Umständen.
Aus den überlieferten Dokumenten geht hervor, dass die Landesgeschäftsstelle NRW des VDK in Essen von dem Vorgang völlig überrascht wurde. Der Umstand einer erfolgten Umbettung wurde ihr von dem lokalen Verantwortlichen, dem später zur Legende gewordenen „Totengräber“ Julius Erasmus, in knappen Worten mitgeteilt. Eine schriftliche Genehmigung für die Umbettung hatte nicht vorgelegen. Auch eine Skizze des Ortes, von dem aus umgebettet worden sein soll, existiert nicht, ebenso gibt es kein reguläres Umbettungsprotokoll.
Die Akteure der Umbettung waren Hansgeorg Model, der damit offenbar gegen den Wunsch seines Vaters handelte, und Oberst a. D. Konstantin von Béguelin als Vertreter des VDK. Von Béguelin hatte die besondere Stellung eines Beauftragten am Sitz der Bundesregierung (BiB) des VDK inne. Der Posten war zur Kontaktpflege mit Vertretern aus Politik und Verwaltung geschaffen worden und damit von erheblicher Relevanz.
Es ist denkbar, dass Konstantin von Béguelin und Hansgeorg Model sich nicht erst bei der Planung der Umbettung begegnet sind, sondern sich bereits zuvor gekannt haben. Von Béguelin war während des Krieges im Oberkommando der Wehrmacht als Bearbeiter von Kriegsgräberfragen tätig gewesen. Nach Ende des Krieges hielt er im Rahmen seiner Arbeit für den Volksbund zahlreiche Verbindungen zu Soldatenverbänden und Traditionsgemeinschaften, darunter auch zur „Traditionsgemeinschaft Großdeutschland“. Hansgeorg Model wiederum war als Offiziersanwärter Ende 1944 zum Ersatztruppenteil der „Sturmgeschützbrigade Großdeutschland“ versetzt worden. Nach dem Krieg machte er Karriere in der Bundeswehr. Eine Verbindung beider über einen Veteranenverband ist nicht ausgeschlossen.
Die ungeklärten Umstände der Umbettung stellen die Frage, ob die Anlage eines Grabes für Walter Model auf der Kriegsgräberstätte Vossenack symbolischen Charakter hatte. Ruhen in dem auf dem Friedhof markierten Grab also nicht dessen sterbliche Überreste, sondern allenfalls einige Gegenstände aus seinem Besitz? Mit einer solchen fingierten Umbettung wäre Walter Models testamentarischer Wille respektiert worden und der Familienfrieden gewahrt geblieben. Damit würde sich auch erklären lassen, warum die Umbettung so ungewöhnlich konspirativ vollzogen wurde. Das gemeinsame Ziel von Hansgeorg Model und Konstantin von Béguelin hätte somit darin bestanden, die Grundlagen für einen militärischen Mythos zu schaffen: den Mythos vom “Generalfeldmarschall” als angesehenen militärischen Führer, der inmitten “seiner” Soldaten ruht. Damit wären die Hitlertreue Models, seine Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie und seine Beteiligung an Kriegsverbrechen in der Sowjetunion an den Rand der Betrachtungen gerückt worden.
Für eine bewußte Inszenierung der Umbettung in diesem Sinne spricht als Indiz der Umstand, dass die Grabstelle für Walter Model in der Mitte des Gräberfeldes platziert wurde. Dazu musste eigens ein namenlos gebliebener Toter aus seinem Grab entfernt und an den Rand des Friedhofs verlegt werden. Auf diese Weise wurde der prominente und symbolisch bedeutsame Platz für das Grab eines „Generalfeldmarschalls“ geschaffen - ein ungewöhnlicher Vorgang, der durch den Durchschlag eines Schreibens vom 27. Juli 1955 an den VDK belegt ist, der im Stadt- und Kreisarchiv Düren (Moderne Akten 4325) überliefert ist.
Um den Sachverhalt zu prüfen und ggf. zu dekonstruieren ist es nach der Ausschöpfung der Archivrecherchen geboten, zu ermitteln, ob Walter Models sterbliche Überreste nach Vossenack umgebettet wurden, ob es sich also um ein “Soldatengrab” oder ein symbolisches Grab handelt. Ein erster Schritt dieser Prüfung besteht in einer nicht-invasiven Untersuchung der materiellen Qualität des Areals. Die Prospektionsgeophysik kann dabei keinen endgültigen Nachweis über die Zuordnung der Grabstelle zu einer bestimmten Person liefern, wird aber die Struktur und ggf. Art der Verfüllung des untertägigen, nicht sichtbaren Teils der Grablage offenlegen.
Herangehensweise und Methoden
Der Methodenkette der IAK folgend wurde zur ersten Detektion und Analyse des Grabes von Walter Model und Hermann Henschke eine top-down-Herangehensweise, bestehend aus mehreren aufeinanderfolgenden und aufeinander aufbauenden Prospektionsmethoden eingesetzt und teils in der realen Umgebung, teils in der digitalen Umgebung eines Geoinformationssystems (GIS) geplant, visualisiert und analysiert.
Nach ersten geodätischen Aufnahmen (Abb. 5), wurde ein 30m x 30m großes Magnetometrie-Grid abgesteckt (s. rotes Quadrat auf Abb. 7). Die Magnetometrie dient einer großflächigen Prospektion des Untergrundes. Als Methode der Archäologischen Prospektion kann die Magnetometrie – je nach Beschaffenheit der Bodenoberfläche und der Befunde – massive Eisenobjekte und magnetisierbare Verfüllungen von Befunden, etwa von Gräben und Gruben, im Untergrund sichtbar machen. Nach erster Auswertung der Messergebnisse vor Ort wurden im Bereich auffälliger magnetometrischer Befunde im Umfeld der Walter Model zugeschriebenen Grablage Georadarprofile angelegt, um die Tiefendimension der archäologischen Befunde und Funde im Untergrund zu ermitteln. Schließlich wurde zur Verfeinerung der Interpretation der Prospektionsgeophysik ein Standardbodenprofil abgeteuft (zur Lage des Standardprofils s. Abb. 7) .
Die geodätische Aufnahme aller Oberflächenbefunde, der Georadarprofile und der Pürckhauer-Bohrung sowie die Absteckung der Messfläche des Magnetometrie-Grids, wurden mittels Topcon Hyper V GNSS-System (GNSS-Rover mit Sapos NRW-Korrekturdaten) realisiert.
Die Magnetometrie wurde mittels Bartington Grad601 dual [Bartington Instruments Ltd. 2019; Bartington und Chapman 2003] (s. Abb. 6) im Grid-Mode mit folgenden Parametern durchgeführt: Mess- und Darstellungsdynamik +/-100 Nanotesla (nT); Räumliche Messauflösung x=0,25m (Messrichtung) und y=0,5 m (Traversenrichtung); Sensitivität 0,03nT. Das Postprocessing der Magnetometriedaten wurde in GEOPLOT 3.0 [Geoscan Research 2003] durchgeführt und für die GIS-Integration vorbereitet. Grid-Traversen wurden dabei statistisch aneinander angeglichen (zero mean traverse), ggf. räumlich korrigiert (destagger) und interpoliert (interpolate). Das so entstandene 30m x 30m große Magnetogramm deckt das Umfeld des Grabes von Walter Model großflächig ab und besitzt eine räumliche Auflösung von 0,25m x 0,25m. Die von dem Magnetogramm erfasste Fläche ist in Abb. 7 und 8 dargestellt.
Bei der profilorientierten Georadarprospektion kam ein IDS Opera Duo mit einer Doppelfrequenzantenne zum Einsatz. Es wurden mehrere Georadarprofile (GP) im Bereich des Grabes von Walter Model und in seinem unmittelbaren Umfeld angelegt (s. Abb. 7). Die Messparameter wurden auf einen Tiefenbereich von 70ns bei höchstmöglicher räumlicher Auflösung von 512 Samples eingestellt, was eine Operationstiefe des IDS bei gegebenen Bodenverhältnissen von bis zu 3,5m unter Geländeoberfläche ergab.
Bei jeder Profilmessung erzeugte das Georadar zwei Radargramme in zwei Frequenzen: 250MHz (deep) und 700MHz (shallow). Die Radargramme wurden im Programm Reflexw 9.0 postprozessiert und visualisiert [Sandmeier 2019]. Das postprocessing beschränkte sich auf einen Gleichspannungs-Abzug bzw. tieffrequenten Filter. Für die 700MHz Radargramme wurden Filterparameter subtract-mean(dewow) / 1.5 / 0 / 0 / 0 / / 0 / 0 / 1 / 465 angelegt. Für die 250MHz Radargramme wurden Filterparameter subtract-mean(dewow) / 4.5 / 0 / 0 / 0 / / 0 / 0 / 1 / 219 genutzt. Die Mess- bzw. Laufrichtung, Lage und Länge ausgewählter, im Folgenden dargestellter Georadarprofile sind in Abb. 7 eingetragen.
Die Pürckhauer-Bohrung wurde zur Einschätzung allgemeiner sedimentologischer und substratgenetischer Verhältnisse (Standardprofil) im untersuchten Bereich abgeteuft. Sie wurde auf Basis der Georadarmessungen und außerhalb der auf den Radargrammen erkennbaren Grabstrukturen angelegt, also im verhältnismäßig wenig anthropogen-beeinflussten Bereich. Absprache hierzu erfolgte mit dem Beauftragten des Kreises Düren für die Kriegsgräberstätten Vossenack und Hürtgen sowie mit der Friedhofsverwaltung. Zur Lage der Pürckhauer-Bohrung siehe Abb. 7.
Die Georeferenzierung und Analyse des Magnetogramms (ArcGIS-3D-Analyst), die Visualisierung von Vermessungs- und Geobasisdaten (hier v. a. Orthophotos) sowie die räumliche Analyse (x- und y-Dimension) der Radargramme (diese stellen eine Tiefen- bzw. z- Dimension dar) wurde in ArcGIS Desktop 10.6 [Esri 2019] durchgeführt.
Ergebnisse der Magnetometrie
In Abb. 8 sind Ergebnisse der Magnetometrie dargestellt. Zunächst fällt auf, dass das Magnetogramm aufgrund zahlreicher sogenannter magnetischer Störkörper auf der Oberfläche der Messfläche sehr unruhig ist. Als magnetische Störkörper erweisen sich einerseits die Grabplatten, andererseits die massiven Steinkreuze, die zwischen den Reihen von Grabplatten aufrecht stehen und bis zu 0,7m hoch sind. Beide Denkmaltypen bestehen aus Natursteinen vulkanischen Ursprungs. Solche Gesteine sind reich an Eisenverbindungen der Mischreihe Magnetit (Fe3O4) - Ulvöspinell (Fe2TiO4) [Dunlop und Özdemir 1997].
Bereits die Bezeichnung verrät, dass Minerale dieser Mischreihe stark magnetisch sein können. Eben solche Magnetominerale in den Grabplatten aus Vulkangestein bedingen, dass die meisten von ihnen als Reihen regelmäßiger, stark positiver (in Abb. 8 tiefschwarzer) Anomalien im Magnetogramm auftreten. Die Gesteine der aufrecht stehenden Kreuze beinhalten ebenfalls stark magnetische Eisenverbindungen. Aufgrund ihrer Ausrichtung in der Geometrie des lokalen Vertikalfeldes jedoch erzeugen sie negative, (in Abb. 8 weiße) sogenannte magnetische Schatten. Diese Schatten sind so intensiv, dass sie die von den Grabplatten erzeugten, positiven Anomalien teils überdecken, so z. B. auch Walter Models und Hermann Henschkes Grabplatte (s. Abb. 8). Sie besitzen aber nicht die Intensität, diejenigen dipolaren Anomalien zu überdecken, die von massiven Eisenobjekten im Untergrund erzeugt werden. Ein Beispiel dafür findet sich auf dem Magnetogramm bei der benachbarten Steinkreuzreihe im Nordwesten des Model-Grabes in Abb. 8 (roter Kreis): Die Dipolanomalien, die von solchen Eisenobjekten (z. B. Waffenteilen) im Untergrund erzeugt werden, sind von derart hoher Intensität, dass sie die magnetischen Schatten der Natursteinkreuze „überstrahlen“.
Im Hinblick auf die Potentiale der Detektion von Gräbern und Gruben im Untergrund mittels Magnetometrie, sind zwei (auf Abb. 8 grün umkreiste) Anomalien interessant. Hierbei handelt es sich höchstwahrscheinlich um stark ferrimagnetische Grubenverfüllungen im Untergrund [Faßbinder 1994]. Derartige magnetometrische Befunde könnten auf größere Grablagen hindeuten [vgl. z. B. mit Stele et al. 2020]. Es scheinen weiterhin in nördlichen Bereichen des Magnetogramms lineare Anomalien durch, die auf längliche, grabenartige Grablagen deuten könnten.
Höhere Sicherheit bei der Interpretation des Magnetogramms kann durch die entsprechende Prospektion der gesamten Fläche des Friedhofs erreicht werden. Für das Grab Models sowie das benachbarte Grab kann zunächst ein magnetometrischer Negativbefund festgehalten werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Magnetometrie aufgrund der von den Steinkreuzen geworfenen magnetischen Schatten und der Überlagerung der Signale aus dem Untergrund durch den Ferrimagnetismus der Grabplatten nicht ihre volle Aussagekraft entfalten kann.
Im Falle einer zeitweiligen Entfernung von Grabplatten und Steinkreuzen (z. B. im Vorfeld einer archäologischen Maßnahme) empfiehlt es sich, mit Blick auf die Weiterentwicklung der Magnetometrie zur Detektion von Grablagen aus neueren Zeitschichten bzw. aus dem zeitlichen Umfeld des Zweiten Weltkrieges, den geräumten Bereich erneut magnetometrisch zu erfassen.
Ergebnisse der Georadarprospektion
Mit Hilfe des Georadars lassen sich die magnetometrischen Befunde generell schnell überprüfen und ggf. weiter differenzieren. Als aktives Verfahren emittiert das Georadar eigens erzeugte Mikrowellenimpulse, empfängt die von Objekten oder Schichtdiskontinuitäten im Untergrund reflektierte Teile dieser Wellenimpulse zurück und visualisiert die dabei entstandenen Reflexionsmuster in einem sogenannten Radargramm in Echtzeit.
Da das Verfahren eigene Wellen erzeugt und sie wieder empfängt, ist es im Vergleich zur Magnetometrie weniger anfällig für elektromagnetische Störungen. Der größte Vorteil des Georadars, neben seiner Schnelligkeit und geringer Anfälligkeit für Störungen, ist die Möglichkeit der Realisierung einer echten Tiefendimension. Das Radargramm zeigt quasi ein Bodenprofil, das einem tiefen, archäologischen Schnitt ähnelt, dessen „Wand“ betrachtet werden kann. Gerade wegen der Erfassung der Tiefendimension ist das Georadar eine notwendige Ergänzung zur Magnetometrie innerhalb der Methodenkette der IAK, denn die Magnetometrie bietet keine mit dem Georadar vergleichbare Tiefendimension. Außerdem hat sich die Radartechnologie - v. a. in Kombination mit anderen geophysikalischen Methoden - in vergleichbaren Untersuchungen bereits bei der Detektion von Grablagen bewährt [Fernández-Álvarez et al. 2016; Bevan 1991; Stele et al. 2020].
Zu den deutlichen Nachteilen des Georadars gehört der Umstand, dass die Radargramme schwer zu interpretieren sind. Sehr viele Aspekte, etwa Boden- und Sedimentbeschaffenheit, Feuchte, dielektrische Eigenschaften des untersuchten Bodens usw. müssen bei der Interpretation beachtet werden. Daher ist es weiterführend zunächst das Georadarprofil GP 2 in Verbindung mit der Pürckhauer-Bohrung in Abb. 9 zu betrachten (zur Lage des GP 2 s. Abb. 7). Mit dieser Profilmessung wurden keine Grablagen durchdrungen, sondern – so suggerieren es zumindest die Ergebnisse der Bohrung und die Georadar-Messergebnisse – der Steg zwischen zwei Reihen von Gräben (vergleich mit Abb. 3). In diesem Steg ist teilweise der ursprüngliche bzw. wenig gestörte Teil des Bodens vor der Anlage des Friedhofs „gespeichert“. Zwecks Gewinnung dieses Standardprofils wurde die Pürckhauer-Bohrung abgeteuft. Im Bohrgut konnten geoarchäologisch insgesamt 3 Straten/Schichten differenziert werden (s. Tab. 1).
Stratum/Schicht und vermutete Substratgenese | Tiefe der Unterkante unter Geländeoberfläche (in cm) | Kurzbeschreibung |
I, anthropogen verkipptes, natürliches Substrat | ~50 | verkippte, grusreiche Schüttung aus ehemaligem Pflughorizont |
II, vermutl. natürlich, vermutl. spätpleistozänes Äolium | ~70 | grusarmer bis -freier, schluffiger Lehm |
III, natürlich, Unterdevon | ab ~70 und tiefer | felsiger, Ton-, Schluff- und Sandstein |
Tab. 1: Differenzierung des Standardbodenprofils im Bereich des Grabes von Walter Model und Hermann Henschke.
Diese grobe Dreiteilung der Schichten lässt sich auch im Radargramm auf Abb. 9 beobachten. Durch die Schicht I bewegen sich die Wellenimpulse aufgrund der geringen Substratdämpfung (Attenuation) sehr schnell durch und treffen in etwa 50cm Tiefe auf die Schicht II. Dort, an der Grenze zwischen den beiden Schichten, werden viele Wellen intensiv zurück reflektiert. Viele Impulse dringen aber auch durch, diese werden wiederum an der rauen Grenze zwischen Schicht II und III zurück reflektiert. Einige Wellen gelangen aber noch in tiefere Felsschichten hinab und werden auch dort mit noch genügender Intensität reflektiert, sodass die Georadarantenne diese „Reflexion an Schichtgrenzen“ wieder empfangen kann (s. Schichtreflexion in etwa 2m Tiefe in Abb. 9).
Die in anderen Radargrammen (GP1 und GP3) sichtbar gestörte Schichtung des Standardprofils wurde beim Anlegen der Grablagen bzw. bei den damit zusammenhängenden Grabungstätigkeiten verursacht. Dies lässt sich am Georadarprofil GP1 sehr gut veranschaulichen (Abb. 10). GP1 „schneidet“ das Grab im Süden, also auf der Seite, auf der laut Grabstein-Aufschrift Hermann Henschke ruht, von Südwest nach Nordost und schneidet auch weitere Grablagen in der unmittelbaren Umgebung des Model-Grabes bzw. des Grabes von Hermann Henschke (vgl. m. Abb. 2). Die beiden Radargramme, die bei dieser Profilmessung erzeugt worden sind, und ihre Interpretation, sind in Abb. 10 dargestellt.
Zunächst wird deutlich, dass die Schichtreflexion zwischen den Schichten II und III nicht so deutlich auftritt wie in GP2. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass sich die Schicht II im Rahmen von Grabungstätigkeiten mit den anderen beiden Schichten vermischt hat und heute als anthropogen-verkippte Gräberverfüllung vorliegt. Weiterhin fällt beim Vergleich der Radargramme GP1 und GP2 auf, dass in GP1 im Tiefenbereich von etwa 1 bis max. 1,50m fünf vereinzelte, nach unten konkave Reflexionsmuster auftauchen. Diese Muster werden oft fälschlicherweise als zylindrische Objekte/Funde interpretiert. Es handelt sich dabei jedoch um Muster, die auf archäologische Befunde zurückzuführen sind. Sie entstehen, wenn die Wellenimpulse aus einem halbkreisförmigen Befund – im vorliegenden Fall höchstwahrscheinlich ein Grab – zurück reflektiert werden. Je tiefer das halbkreisförmige Grab liegt, desto perfekter die Beugungshyperbel, die bei der Zurückstreuung von Wellen in Richtung Radarantenne entsteht [Goodman und Piro 2013].
Dies verdeutlichen die nahezu perfekten Hyperbeln, die von tiefer liegenden Gräbern im Nordosten des 700MHz-Radargramms auf Abb. 10 erzeugt wurden. Verwirrend an diesen Reflexionsmustern ist, dass die eigentlichen Ausmaße bzw. Umrisse des Befundes/Reflektors auf den Radargrammen nicht zu erkennen sind [vgl. mit. Goodman und Piro 2013]. Alle in Abb. 10 und 11 rot eingetragenen Einzeichnungen sind deshalb zunächst reine Annäherungen an die tatsächlichen Dimensionen der Gräber und müssen mit der entsprechenden Zurückhaltung interpretiert werden. Die Tatsache, dass diese Reflexionsmuster in Radargrammen überhaupt entstanden sind, ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die Georadarprofile GP1 und GP3 absolut orthogonal zur längsten Seite der Gräber verlaufen (vgl. mit Abb. 3). Reflexionen, die auf menschliche Überreste hindeuten könnten sind dabei nicht in allen vermuteten Gräbern zu sehen, was damit erklärt werden kann, dass die menschlichen Überreste entweder nicht im Bereich des Georadarstreifens liegen oder so klein sind, dass sie vom Georadar in dieser Tiefe nicht mehr detektiert werden können.
In dem Georadarbefund, der räumlich mit dem Grab Models und Henschkes übereinstimmt, finden sich sowohl Reflexionsmuster, die auf ein halbkreisförmiges, vom Georadarprofil längsseits-quer geschnittenes Grab mit einer Tiefe von max. 1,5m unter heutiger Geländeoberfläche, als auch auf Objekte in der Verfüllung eben dieses Grabes hindeuten. Es könnte sich, laut Grabsteinaufschrift, bei diesem Georadarbefund also um das Grab bzw. die Überreste von Hermann Henschke (Grab Nr. 1073) handeln. Um zu erfahren, ob es auf der nördlichen Seite des Grabsteins, also auf der Seite von Walter Model, ähnliche Georadarbefunde gibt, wurde ein weiteres, kürzeres Messprofil direkt auf der Seite mit der Grabnummer 1074, angelegt (s. a. Abb. 1). Eine umfassendere Messung ist derzeit nicht möglich, da ein Grabkreuz oberhalb des Grabsteins einen durchgehenden Einsatz des Georadars nicht zulässt. Die Abb. 11 zeigt die Radargramme, die dabei generiert wurden sowie die dazugehörige Interpretation.
Auf den Radargrammen GP3 in Abb. 11 können zwei Gräber bzw. Gräberreihen im unmittelbar nordöstlichen Vorfeld des Model-Grabes detektiert werden. Das Grab, das räumlich mit dem Grabstein von Walter Model übereinstimmt, zeigt ebenfalls Reflexionsmuster, die auf ein halbkreisförmiges, vom Georadarprofil längsseits-quer geschnittenes Grab mit einer Tiefe von max. 1,5m unter heutiger Geländeoberfläche, als auch auf Objekte in der Verfüllung eben dieses Grabes hindeuten. Es könnte sich, laut Grabsteinaufschrift, bei diesem Georadarbefund also um das Grab bzw. die Überreste von Walter Model (Grab Nr. 1074) handeln.
Erkenntnisse und Perspektiven
Für eine fundierte Überprüfung beider Thesen sind die vorliegenden Prospektionsdaten und Erkenntnisse nicht ausreichend. Eine weitere Differenzierung mit Hilfe nicht-invasiver Methoden wäre durch Prospektion des gesamten Friedhofs sowie die Anlage von geophysikalischen Messflächen und -profilen nach einer Entfernung der Störkörper denkbar.
Weiterführend wäre zudem eine archäologische Maßnahme in Form einer Grabung (nicht einer Exhumierung, s. Vorschlag für eine archäologische Maßnahme in Abb. 12). Auf diese Weise lassen sich die in diesem Bericht referierten geophysikalischen Befunde prüfen, zugleich wäre eine Grabung für die abschließende Ermittlung, ob es sich bei dem Walter Model zugeschriebenen Grab um eine Körperbestattung handelt oder um ein symbolisches Grab unumgänglich. Des Weiteren müsste dabei vor allem auch ermittelt und dokumentiert werden, ob sich nachträgliche Bodeneingriffe bzw. Raubgrabungen im Bereich der Grablage feststellen lassen.
Um insgesamt also zu einer differenzierteren Einschätzung der Befunde zu gelangen, wird ergänzend zu einer archäologischen Maßnahme die Prospektion der gesamten Anlage durch Magnetometrie bzw. Georadar sowie eine systematische Analyse der historischen Dokumente über die Anlage und den Betrieb des Friedhofs empfohlen, um weitere Erkenntnisse über die Bestattungspraktiken auf dem Areal der Kriegsgräberstätte Vossenack zu gewinnen.
Die Ergebnisse der Prospektionsgeophysik erhärten zunächst in vorsichtiger Interpretation die Vermutung, dass bei dem Grab Models auf der Kriegsgräberstätte Vossenack ungewöhnliche Umstände gegeben sind, die darauf hindeuten können, dass es sich um ein symbolisches oder gar ein geplündertes und somit leeres Grab handelt. Eine Bestätigung dieser Annahme würde dazu führen, dass Walter Model das ewige Ruherecht auf der Kriegsgräberstätte Vossenack verlöre, weil entsprechend davon ausgegangen werden müsste, dass der Tote an einem anderen Ort ruht, dessen Örtlichkeit wiederum nicht eindeutig geklärt ist.
Autor:innen
- Dr. Andreas Stele ist Referent für Geophysik am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und arbeitete in den Projekten “Lernort ,Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald” und “Boden | Spuren. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur”.
- Frank Möller ist Historiker und Publizist, war 2016/17 Koordinator des Moratoriums Hürtgenwald und ist aktuell Beauftragter des Kreises Düren für die Kriegsgräberstätten Vossenack und Hürtgen.
- Mirjam Adam, M.Ed., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Projekt “Lernort ,Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald”.
- Prof. Dr. Christoph Rass ist Professor für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung sowie Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften (IAK) der Universität Osnabrück und leitet deren Projekte im Bereich der Neuesten Geschichte.
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