Interview mit den Balus
Annika Pirnath ist 22 Jahre alt und studiert im fünften Semester den Zweifächer-Bachelor auf gymnasiales Lehramt mit den Fächern Kunst und Bio. Sie wohnt im Moment nicht in Osnabrück und pendelt daher zur Uni. In ihrer Freizeit macht sie gerne Sport, trifft sich mit Freunden und natürlich auch mit ihrem Mogli. Seit Mitte November ist sie Balu.
Jan Rohe ist 23 Jahre alt und kommt jetzt ins fünfte Semester. Er studiert Sport und Deutsch mit dem Ziel, Grundschullehrer zu werden. In seiner Freizeit spielt er gerne Fußball, trainiert eine Jugend-Mannschaft und unternimmt gerne etwas mit seinem Mogli. Jan ist seit Anfang November Balu.
Worum geht es bei Balu und Du?
Jan: Man übernimmt eine Art Patenschaft für ein Kind und das für ein Jahr. Man selbst ist dann „Balu“ und die Kinder „Moglis“. Und dann trifft man sich, wenn es geht, einmal pro Woche. Es geht darum, dem Kind coole Erfahrungen zu ermöglichen. Und für das Kind da zu sein, ein offenes Ohr zu haben, wie ein Freund. Die Kinder, die für das Programm vorgeschlagen werden, haben es nämlich oft nicht so leicht. Das kann aus verschiedenen Gründen so sein: um Beispiel finanzielle Gründe oder familiäre Probleme oder dass sie neu nach Deutschland gekommen sind.
Und nebenbei hat man dann noch einmal pro Woche ein Seminar und da bekommt man richtig gute Unterstützung. Und man lernt auch eine Menge über pädagogische Themen.
Annika: Es ist auch gut zu wissen, dass man sich das anrechnen lassen kann: z.B. als Praktikum oder als Veranstaltung. Ich lasse mir das zum Beispiel in Erziehungswissenschaften als Komponente anrechnen. Das ist einfach eine win-win Situation. Und am Ende bekommt man ein Ehrenamt-Zertifikat, das ist super, wenn man sich später bewirbt.
Wie unterstützt euch Balu und Du?
Annika: Ich finde es richtig cool, dass man mit den Treffen nicht komplett alleine gelassen wird. Balu und Du organisiert selbst auch verschiedene Veranstaltungen. Ich war zum Beispiel mit meinem Mogli jetzt schon zum zweiten Mal Bouldern. Am Anfang habe ich es manchmal schwierig gefunden, immer etwas Cooles zu planen. Aber oft sind die einfachsten Sachen die besten. Da muss man sich gar nicht so einen Kopf machen. Hauptsache man verbringt Zeit zusammen.
Jan: Man bekommt übrigens 15 Euro im Monat vom Projekt. Wenn man zum Beispiel mal ein Eis kauft oder ins Kino geht, kann man das Geld nutzen. Es gibt außerdem ganz viele Gruppenaktionen, die meistens kostenfrei sind. Zum Beispiel das Bouldern. Oder ich war mit meinem Mogli vor zwei Wochen an der Nordsee, mit einem ganzen Bus voll mit anderen Balus und Moglis. Der ganze Tag wurde dann vom Projekt geplant und man kann sich dann einfach einhängen. Es gibt übrigens auch zwei Räume die man nutzen kann: Einmal einen Raum mit großem Fundus mit Spielen, Büchern, Sportgeräten und allem, was man für die Treffen braucht. Da kann man sich auch Schwimmutensilien leihen oder Inliner, Kindersitze oder Helme. Und dann gibt es noch den Teutoraum an einer Schule. Da gibt es auch viele Spiele, eine Leseecke und sogar eine Küche. Das ist eine gute Location, die man ansteuern kann, sollte es bei Balu (z.B. in einer WG) oder bei Mogli nicht passen.
Wie seid ihr zu Balu und Du gekommen?
Jan: Ich habe bei Stud.IP gesehen, dass Balu und Du noch Balus für fünf Kinder sucht. Dann habe ich gesehen, dass eins der Kinder bei mir in der Nähe wohnt und dass es Lust auf die Sachen hat, die mir auch Spaß machen. Das hat dann einfach direkt gepasst!
Annika: Mich hat eine Freundin angesprochen, weil sie sich dafür angemeldet hat und meinte, dass das gut zu mir passen würde. Ich bin Gruppenleiterin von einer Jugendgruppe und habe ein FSJ an der Grundschule gemacht. Mit Kindern zu arbeiten, macht mir total Spaß. Und dann dachte ich Balu und Du ist doch eine coole Idee, um auch mal andere Aktivitäten auszuprobieren und die Stadt besser kennenzulernen.
Trefft ihr öfter mal andere Balus?
Annika: Ja, genau. Also man lernt dann Studierende aus anderen Fächern kennen, die man ja sonst nicht sehen würde. Und es ist natürlich auch cool, die anderen Kinder kennenzulernen.
Jan: Manchmal treffen wir uns mit anderen Gespannen. Zum Beispiel gibt es eine andere Balu, mit der ich studiere. Und ihr Mogli und mein Mogli sind jetzt schon ein bisschen Freunde geworden. Das ist eine coole Möglichkeit, wenn dann das Projekt für uns vorbei ist, dass die sich als Freunde gewonnen haben.
Und bleibt ihr dann nach dem Jahr mit euren Moglis in Kontakt?
Jan: Also bei dem Trip zur Nordsee war auch ein ehemaliges Gespann dabei. Also ein Balu und Mogli, deren Jahr eigentlich schon vorbei ist. Ein anderer Balu hat mal später von seinem Mogli ein Abizeugnis geschickt bekommen. Das können also wirklich langfristige Beziehungen werden. Aber das muss natürlich nicht sein, das kann man so machen, wie das für einen selbst am besten passt.
Habt ihr einen besonderen Moment, den ihr mit eurem Mogli verbindet?
Jan: Wir haben eine Radtour gemacht und da hat er mir ganz stolz seinen Fahrradhelm gezeigt. Und er hat den so bunt verziert mit Stickern. Auf den Helm hat er unsere Namen draufgeschrieben und da drunter „beste Freunde“. Das fand ich schon echt cool. Ja, es gibt ganz viele schöne Momente.
Annika: Mein schönster Moment mit ihr war, als ich ihr zu Weihnachten einen Boulder-Führerschein geschenkt habe. Wir waren ja vorher schon mal Bouldern und da habe ich gemerkt, dass sie da voll für brennt. Und sie kann das richtig, richtig gut. Dann hat sie erzählt, dass sie mit ihrem Vater früher viel bouldern war, aber das jetzt schwieriger ist, weil sie noch ein jüngeres Geschwisterkind hat. Und mit dem Boulder-Führerschein darf sie jetzt auch alleine bouldern gehen. Ihre Mama hat mir dann ein Video geschickt, wie sie aus Freude geweint hat. Zu sehen, dass so eine Kleinigkeit einen Menschen so glücklich machen kann, das war echt schön.
Was für Aktivitäten macht ihr mit den Moglis?
Annika: Wir machen meistens sportliche Aktivitäten, weil ich gemerkt habe, dass sie sich dann besser auspowern kann. Wir gehen öfter bouldern und Basketball spielen, und sie liebt skaten. Klettern im Hochseilgarten oder ins Jump House.
Jan: Wir machen auch viel Sportliches. Eine Radtour zum Beispiel oder wir waren Mini-Golf spielen, was er sehr, sehr cool fand. Das ist generell was Schönes, so erste Male zu ermöglichen. Er war vorher noch nie im Schwimmbad oder im Kino. Oder auch an der Nordsee, am Meer war er noch nie. Das ist echt schön, dass du dann sowas Besonderes ermöglichen kannst.
Das Mentoringprogramm "Balu und Du"
Die "Formel"
- 1 Pat*in betreut ehrenamtlich 1 Osnabrücker Grundschulkind
- 1 wöchentliches außerschulisches Treffen
- für die Dauer von mindestens einem Jahr
Ziel
- Kindern in herausfordernden Lebenssituationen Unterstützung zu leisten
- sie bei einer positiven Entwicklung zu unterstützen – trotz manchmal widriger Umstände
- bestehende Ungleichheiten abzumildern und Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu fördern
Standort in Zahlen
- seit Gründung vor 20 Jahren mehr als 1.600 Gespanne aus Studierenden & Kindern an der Uni initiiert
- zurzeit laufen 70 Tandems
- Mentor*innen werden in 4 Seminargruppen betreut
- mittlerweile ein bundesweites Programm mit ca. 150 Standorten
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weitere Standorte in Osnabrück befinden sich an der Hochschule (Soziale Arbeit) und Osnabrücker Gymnasien (Einbindung als Seminarfach)
Ist das nicht auch viel Verantwortung?
Jan: Ja, also es ist schon eine gewisse Verantwortung. Ich habe in dem Bereich schon ein bisschen Vorerfahrung. Aber man ist ja wirklich nicht alleine. Man kann auch immer bei allem unsere Mentor*innen fragen und ansprechen. Die sind immer offen und nehmen sich für alles Zeit. Deswegen glaube ich ist das überhaupt kein Problem, wenn man keine Vorerfahrung hat. Ein bisschen Vorbild sein muss man schon, aber ich denke das ist ja auch irgendwie normal. Aber dann muss man sich nicht so einen Kopf machen.
Annika: Da kann ich mich nur anschließen. Also wenn man vorher schon etwas Erfahrung mit Kindern hat, ist das nochmal einfacher. Ich bin zum Beispiel auch in ihr schulisches Leben eingebunden. Also wenn sie Probleme in der Schule hat, dann erzählt die Mama mir das und dann kann mein Mogli sich bei mir melden und wir schreiben dann privat. Aber das ist nicht so, dass die Verantwortung zu groß ist. Das finde ich an den Seminaren ganz cool. Da kommen wirklich alle mit ihren Fragen und Sorgen hin. Man redet über die Treffen und holt sich Tipps ein. Aus dem Seminar geht man immer gestärkt raus.
Jan: Es gibt so viele Möglichkeiten davon zu lernen, eben weil man mit so vielen anderen immer wieder zusammenkommt und deren Geschichten hört.
Annika: Es ist auch manchmal lustig zu hören, was die anderen so machen und wie die Moglis so drauf sind.
Was nehmt ihr aus der Zeit für euch persönlich mit?
Jan: Was ich mitnehme ist, dass man bei den Kindern auf jeden Fall immer Geduld haben muss. Bei den ersten Treffen war mein Mogli mega motiviert, aber dann so bei Treffen drei, vier und fünf war er eher zurückhaltend und wollte gar nicht von zu Hause weg. Das war der erste Tag nach den Ferien. Er hatte da einen langen Tag in der Schule und das war dann wirklich alles zu viel für ihn. Dann habe ich ihm und den Eltern gesagt, dass alles gut ist. Er soll ja einfach selbst da Bock drauf haben und wenn wir uns mal nicht treffen, ist das gar kein Problem. Und mit der Zeit ist er immer mehr aufgetaut. Da habe ich gelernt, wenn man da mit etwas Geduld und ganz entspannt rangeht, und auch wenn mal das, was man sich vorgenommen hat, nicht klappt, dann ist das gar kein Problem. Ich glaube jedes Kind hat so sein eigenes Tempo und das ist was, das ich später für meinen Lehrerberuf mitnehmen kann.
Annika: Ich nehme mit, dass man nicht nur seinem Mogli eine schöne Zeit macht, sondern dass wir wirklich so schöne Momente miteinander erlebt haben, die ich selber richtig großartig fand. Es ist wirklich nicht einseitig. Ich habe für mich selbst gemerkt, dass ich viele Sachen ausprobiert habe, wie zum Beispiel Klettern und Hochseilgarten, die ich sonst nie gemacht hätte, weil ich eigentlich Höhenangst habe. Das was man mit dem Kind erlebt, das ist was sehr, sehr Schönes – das kann ich nur so weitergeben. Und dieses Jahr ging irgendwie sehr schnell um. Am Anfang dachte ich schon, so ein Jahr ist eine lange Zeit, finde ich jetzt wirklich jede Woche was Cooles? Aber es ging wirklich sehr schnell rum und es war eine total schöne Zeit.
Was würdet ihr Anderen mitgeben, die jetzt überlegen, ob sie Balus werden wollen?
Jan: Also, für ein Jahr ist es zwar etwas mehr Aufwand als eine andere Komponente, aber man hat auch die Möglichkeit das Leben eines Kindes nachhaltig positiv zu beeinflussen. Wenn ein Kind zum Beispiel Probleme mit der Sprache hat oder noch nicht so richtig in der Schule ankommt und man ist dann für ihn da, als ein Freund, der ihm ein gutes Gefühl gibt und sein Selbstbewusstsein stärkt, dann kann das ein Leben wirklich nachhaltig beeinflussen. Ich glaube, das ist das bisschen mehr Aufwand wert. Es ist ja auch was Schönes, dass man so einen positiven Beitrag leisten kann.
Annika: Dazu gibt es eine Studie. Also, dass Kinder aus belasteten Verhältnissen in diesem einen Jahr wirklich viel davon mitnehmen und dass man sie wirklich positiv beeinflussen kann, auch im Umgang mit anderen Menschen. Das war mir am Anfang noch gar nicht so bewusst, dass dieses eine Jahr doch so krass viel bei einem Kind verändern kann. Die Kinder leben ja in ihrer Bubble und manchmal ist es so schwer, da auszubrechen und ich glaube das ist wirklich schön für sie. Und nicht nur für sie, sondern man erlebt ja zusammen schöne Momente, die einem im Gedächtnis bleiben.