Vom Schach zum Prof: Psychologe Prof. Dr. Julian Rubel über seinen Werdegang
Herzlich begrüßt mich Prof. Julian Rubel in seinem Büro. Der Raum ist hell, eine Wand ist übersäht mit Büchern, der Blick durchs Fenster nach draußen geht direkt auf einen großen Baum. Der aus der Nähe von Limburg a.d. Lahn stammende Professor für Psychotherapieforschung und Klinische Psychologie fühlt sich sichtlich wohl am neuen Standort der Psychologie am Westerberg. Nur ein Café vor Ort würde sich der Psychologe noch wünschen. Seit mittlerweile zwei Jahren lehrt und forscht er an der Universität Osnabrück. Worüber? Eine seiner Forschungsinteressen ist die Prävention für Patientinnen und Patienten mit einer Pornografie-Nutzungsstörung.
Ob er mir einmal die App, die er dafür entwickelt hat, zeigen könnte? Sofort zückt Prof. Rubel sein Handy und öffnet routiniert die „PornLoS“-App. „Hier haben wir den Notfallkoffer“ – übersichtlich sind verschiedene Symbole auf dem Bildschirm des Smartphones zu sehen. Ein Foto, selbst aufgenommene Audios und ein Notfallkontakt füllen die ersten Plätze. Für eine schnelle Hilfe, wenn die Sucht den Betroffenen zu schaffen macht, denn die App fungiert als Begleiter im Alltag für Betroffene einer Pornografie-Nutzungsstörung.
Verschiedene Skills, Entspannungsübungen, Spiele, Rätsel oder auch Sportübungen sind ebenfalls in der App zu finden. Sie sollen für Zerstreuung sorgen und vom Suchtdruck ablenken. Der Notfallkoffer ist nur eine von mehreren Funktionen, berichtet mir Prof. Rubel. Begeistert erzählt er mir von einem seiner Forschungsvorhaben: der Ausarbeitung der App PornLoS. Wie sie funktioniert, wie genau die App den Patientinnen und Patienten helfen soll und vor allem, welche Daten sich davon ablesen lassen, die zu einem besseren Verständnis der Probleme und Auslöser der Krankheit beitragen sollen. Daten, Statistiken und Analysen sind ein wichtiger Teil im Psychologiestudium, davon wurde schon so manch ein Student, manch eine Studentin, in den ersten Studienjahren überrascht. Für Rubel sind es gerade die Statistiken und Datenanalysen, die ihn an der Forschung reizen. Auch wenn eine Karriere in der Forschung zunächst gar nicht geplant war.
„Die Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere hat sich mit der Zeit entwickelt. Das Interesse an der Forschung war schon immer groß bei mir, aber dass es sich so entwickelt, ist nur schwer planbar.“ So schrieb Rubel sich ursprünglich in das Fach Psychologie ein, um sein Schachspiel zu verbessern, da in diesem psychologische Aspekte eine große Rolle spielen und er zu dieser Zeit ein ambitionierter Vereinsschachspieler war. Mit dem Start des Studiums verschwanden diese Ambitionen aber immer mehr im Hintergrund. Das zeitaufwendige Studium und zuletzt ein ausschlaggebender Workshop weckten sein Forschungsinteresse, dem er bis heute treu geblieben ist.
„Schach ist etwas, womit man seinen Lebensunterhalt nur relativ schwer bestreiten kann. Von daher war eigentlich immer klar, dass das nicht der Fall sein wird. Aber ich hatte schon Hoffnungen, sagen wir mal, so richtig gut zu werden. Ich war sicherlich nicht schlecht, aber so die letzten paar Meter haben da sicherlich noch gefehlt oder die letzten paar Kilometer – je nachdem,“ erklärt Rubel und lacht. Im Alter von 14 bis 20 Jahren war er auf dem Weg zum Titel eines FIDE- Meisters, nach dem Großmeister und dem Internationalen Meister der dritthöchste Titel, der vom Weltschachbund vergeben wird, tauschte aber schließlich das Schachbrett gegen die Forschung ein.
Seine Karriere startete Rubel in Trier. Bereits zum Studieren zog er von Frickhofen, einem kleinen Dorf in der Gemeinde Dornburg nahe der hessischen Domstadt Limburg a. d. Lahn, in die geschichtsträchtige Stadt. Anfang 2012 begann er seine Promotion, die er drei Jahre später erfolgreich abschloss. Parallel dazu absolvierte er seine Psychotherapieausbildung und blieb daraufhin noch einige Jahre in Trier. Als Post-Doc forschte Rubel unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Lutz, unterbrochen durch Forschungsaufenthalte in den USA und der Schweiz. So arbeitete er in der Psychotherapieforschungsabteilung bei Prof. Dr. Aaron Fisher in Berkeley und dem Psychotherapieforschungslabor in Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Flückiger. Nicht nur beruflich, auch privat war Trier eine prägende Phase für den Psychologen: So lernte Rubel seine jetzige Frau dort kennen und gründete eine Familie. 2019 zog er dann mit seiner Familie für eine Juniorprofessur mit Tenure-Track nach Gießen.
Als 2023 dann neben dem Ruf nach Osnabrück auch ein Angebot aus Trier kam, stand eine schwere Entscheidung an. Zurück in die Wahl-Heimat Trier, in der neben einem guten Jobangebot auch die erweiterte Familie lebt, oder weiter in den Norden in eine unbekannte Stadt an die Universität Osnabrück? Was schließlich den Ausschlag gab, war die einzigartige Möglichkeit, auch die Psychotherapieambulanz in Osnabrück leiten zu können. „Meine Forschung passiert in der Regel in Ausbildungsambulanzen. Sie da umsetzen zu können war schon der Hauptattraktor – vor allem, weil mein Vorgänger Prof. Dr. Henning Schöttke in der Vergangenheit ähnliche Forschung in der Ambulanz betrieben hat und es so auf sehr fruchtbaren Boden gefallen ist. Es gibt eine sehr gute Infrastruktur mit Videoaufnahmen, Fragebogenerhebungen etc.. Da konnte ich sehr gut andocken“, berichtet Rubel.
Dem Psychologen ist es wichtig, dass seine Forschung interessant und relevant für Therapeutinnen und Therapeuten und damit in der alltäglichen Arbeit direkt umsetzbar ist. Konkret geht es in Rubels Forschung darum, mithilfe von Empirie erfolgversprechende Entscheidungsprozesse in der Psychotherapie ausfindig zu machen. „Für mich steht eher das Individuum im Vordergrund. Mich interessiert: Welcher Therapieansatz ist der richtige und für welche psychische Krankheit trifft das zu? Ein Großteil der Forschung macht ja immer nur Aussagen über Gruppenunterschiede. Wir versuchen uns da ein bisschen anzunähern. Was bedeutet das konkret für eine Patientin, die da vor uns sitzt? Wir versuchen, sie möglichst gut durch Daten, Fragebögen etc. zu beschreiben und dann auf Basis der Daten, die wir in der Datenbank gesammelt haben zu gucken: Wovon haben ähnliche Patienten, die schon in der Datenbank sind, profitiert?“ Da sich die Gesellschaft und auch Therapien in einem ständigen Wandel befinden, hält Rubel es für wichtig, diese Datenbank kontinuierlich weiterzuführen. Auf die Frage, was ihn besonders an der Forschung reizt, antwortet er: „Der Versuch, menschliches Erleben und Verhalten zu quantifizieren und modellieren zu können, um Vorhersagen für die Zukunft machen zu können, das ist irgendwie faszinierend. Wir versuchen, den psychotherapeutischen Ansatz zu verbessern und damit möglichst vielen Patienten gleichzeitig helfen zu können.“
Mittlerweile ist der Psychologe angekommen. Kita, Arbeit, Haus: alles ist mit dem Fahrrad erreichbar. Das ist nur einer der Gründe, weshalb es ihm in Osnabrück so gut gefällt. „Das war alles irgendwie sehr unproblematisch hier, auch das Institut. Die Kolleginnen und Kollegen sind extrem nett und waren alle sehr herzlich und willkommen heißend. Ich wurde dann am ersten Arbeitstag gleich in den Institutsrat gewählt“, berichtet der Professor für Klinische Psychologie. „Osnabrück als Stadt fand ich auch irgendwie reizvoll. Nicht zu groß, aber auch nicht zu klein.“ Die kurzen Wege in der Stadt spiegeln sich für Rubel auch an der Universität wider. Besonders zu schätzen weiß er das kollegiale Miteinander und den unkomplizierten Austausch mit dem Präsidium. Jetzt fehlt nur noch ein Café um die Ecke für die besonders langen Arbeitstage.