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109/2025
Soziologische Untersuchung

Kinderkrankentage unter der Lupe

Kinderkrankentage sind eine arbeitsrechtliche Regelung, die es Eltern ermöglicht, sich im Krankheitsfall um ihr Kind zu kümmern. In einem Projekt soll untersucht werden, wie Eltern die Betreuung ihrer Kinder im Krankheitsfall organisieren.

Wer Kinderkrankentage in Anspruch nimmt und wer stattdessen auf alternative Lösungen wie zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten oder Unterstützung durch das soziale Umfeld zurückgreift: Das sind einige der Fragen, auf die Antworten gesucht werden. Finanziert wird es mit rund 276.000 Euro vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung im Rahmen von zukunft.niedersachsen.

Zum Hintergrund: Laut den Zahlen der DAK fehlten Erwerbstätige 2024 im Bundesdurchschnitt 20 Tage im Jahr aus Krankheitsgründen. Neben der eigenen Krankheit ist ein häufiger Grund für Eltern, nicht arbeiten zu können, die fehlende Betreuung eines erkrankten Kindes. Rechtlich haben Eltern von Kindern bis zum 12. Lebensjahr einen Anspruch auf Kinderkrankentage, die entweder durch Lohnfortzahlung des Arbeitgebers oder Lohnersatzleistung der Krankenkasse abgesichert ist. Jedoch liegt die primäre Verantwortung oft bei Müttern. In welchem Umfang und aus welchen Gründen Eltern auf alternative Betreuungslösungen ausweichen, ist zudem empirisch nicht beantwortbar, da bislang keine Daten dazu vorliegen. Hieraus resultiert eine Forschungslücke, die die Forscherinnen und Forscher schließen wollen, stellt doch die Betreuung kranker Kinder gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen besonders aufschlussreichen Aspekt dar.

„Wir wollen verstehen, wie Eltern die Betreuung im Krankheitsfall lösen und welche Faktoren diese Entscheidungen beeinflussen“, erklärt die Projektleiterin und Osnabrücker Soziologin Prof. Dr. Katrin Golsch. „Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Frage, inwieweit räumlich und zeitlich flexibles Arbeiten alternative Betreuungsmöglichkeiten darstellen.“ Durch die generelle Arbeitsfähigkeit sei es beispielsweise möglich, durch das Arbeiten von zu Hause ein krankes Kind zu betreuen, ohne sich klassisch (kinder)krankmelden zu müssen. Auch Arbeitszeitautonomie bietet unter Umständen die Möglichkeit, die Betreuung flexibler zu gestalten. Denkbar ist auch, dass Eltern im Krankheitsfall eines Kindes auf ihr Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen. „Eine wichtige Ressource ist das Unterstützungsnetzwerk, da die räumliche Nähe von Eltern oder Großeltern eine Betreuung ohne Verzicht auf Erwerbstätigkeit ermöglichen kann. In diesem Zusammenhang können auch Freundschaftsnetzwerke potenziell eine Rolle spielen.“

„Neben der Perspektive der Eltern ist es uns wichtig, auch die Sicht der Personalverantwortlichen einzubeziehen“, fügt Dr. Ayhan Adams hinzu, ebenfalls Projektleiter. „Wir wollen herausfinden, wie sie die Inanspruchnahme von Kinderkrankentagen und die Nutzung alternativer Betreuungslösungen wahrnehmen und bewerten.“ Um befürchtete und tatsächliche Konsequenzen dieser speziellen Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit erfassbar zu machen, sei es „essenziell, die Einstellungen zu Kinderkrankentagen aus beiden Perspektiven zu beleuchten.“ So sollen im Projekt noch mehr Erkenntnisse zu Arbeitsmarktungleichheiten für Mütter und Väter gewonnen werden.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun durch eine eigene Erhebung herausfinden, inwieweit Mütter und Väter im Krankheitsfall eines Kindes Kinderkrankentage nehmen oder auf alternative Betreuungsmöglichkeiten zurückgreifen wollen, können oder auch müssen. Dabei werden sowohl die Perspektiven sozialversicherungspflichtig beschäftigter Eltern als auch die von (kinderlosen) Frauen und Männern mit Personalverantwortung berücksichtigt. „Mit der von uns geplanten Umfrage versuchen wir so, die angenommene „Dunkelziffer“ – die nicht in Anspruch genommenen Kinderkrankentage – und deren Größenordnung im Vergleich zu Anträgen auf das Kinderkrankengeld und „inoffiziell“ genommenen Kinderkrankentagen, bei denen Eltern mit Personalverantwortlichen alternative Absprachen treffen, aufzuhellen“, erläutert die Soziologin. Konkret stehen die folgenden Fragen im Mittelpunkt: Wie hoch ist die Häufigkeit von Fehltagen aufgrund der Erkrankung eines Kindes für Mütter und Väter, und in welchem Umfang werden Kinderkrankentage oder alternative Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch genommen? Welche Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungen haben sozialversicherungspflichtig beschäftigte Mütter und Väter und (kinderlose) Frauen und Männer mit Personalverantwortung hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kinderkrankentagen und alternativen Betreuungslösungen? Und: Inwieweit beeinflussen soziodemografische und -ökonomische Unterschiede der Eltern sowie betriebliche Strukturmerkmale und Maßnahmen die (Nicht-)Inanspruchnahme von Kinderkrankentagen, und welche Rolle spielt dabei die Betriebskultur?

Antworten erhoffen sich die Forscherinnen und Forscher spätestens in drei Jahren. „Dann möchten wir konkrete Handlungsempfehlungen vorlegen, wie Unternehmen und Politik die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und geschlechtsspezifische Ungleichheiten abbauen können“, so Prof. Golsch.

Weitere Informationen für die Redaktionen:
Prof. Dr. Katrin Golsch, Universität Osnabrück
Institut für Sozialwissenschaften
 katrin.golsch@uos.de
 

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