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Pressemeldung

Nr. 270 / 2004

08. Dezember 2004 : Förderung persönlicher Kompetenzen - Uni Osnabrück entwickelt neues System zur Untersuchung begabter Schüler

Dass Begabungen nicht immer in entsprechende Leistungen umgesetzt werden können, ist bekannt. Bislang war es aber praktisch nur sehr begrenzt möglich, mit wissenschaftlich erprobten Methoden die individuellen Ursachen zu ermitteln, die dazu führen, dass ein Mensch weniger leistet als aufgrund seiner Begabung zu erwarten wäre. »Eine der Ursachen liegt im Bereich der Persönlichkeit, speziell bei den persönlichen Kompetenzen, die man heute in Wirtschaftsunternehmen ‚Schlüsselqualifikationen‘ nennt«, erklärt der Psychologe Prof. Dr. Julius Kuhl von der Universität Osnabrück. Beispiele für persönliche Schlüsselqualifikationen zum schulischen und beruflichen Erfolg sind Zielkonkretisierung, Planungsbereitschaft und Planungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hat Kuhl nun eine neue Diagnostik zur Messung und Förderung solcher Kompetenzen entwickelt. Mit Hilfe der so genannten Entwicklungsorientierten Systemdiagnostik (EOS) wird es möglich, für einzelne Schüler ein Kompetenzprofil zu erstellen, so dass Ratschläge bis hin zu Trainingsmaßnahmen abgeleitet werden können, die dort ansetzen, wo die individuellen Entwicklungschancen liegen. An zwei Osnabrücker Gymnasien wurde EOS nun erfolgreich erprobt.

Diese Förderung ist nicht nur zur Optimierung der Begabungsreserven unterschiedlichster Schüler nützlich, sondern gerade auch zur Förderung hochbegabter Schüler von besonderem Wert. In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder übersehen, dass Hochbegabte wegen ihrer vielfältigen Denk- und Handlungsmöglichkeiten und hohen Ansprüche an sich selbst gekoppelt mit geringer Anstrengungsbereitschaft höhere persönliche Kompetenzen brauchen als Normalbegabte. Kuhl: »Wenn beispielsweise ein mathematisch hochbegabter Schüler sein besonderes Talent entwickeln will, muss er über eine überdurchschnittliche Fähigkeit verfügen, sich auch bei noch so schwierigen Problemen nicht entmutigen zu lassen. Er muss sich immer neu motivieren und sich immer wieder Schwierigkeiten stellen, mit denen ein normal begabtes Kind gar nicht oder nicht so häufig konfrontiert wird.« Dabei sei es wichtig, nicht nur den betroffenen Hochbegabten, sondern auch Eltern und Lehrern die Chancen verständlich zu machen, die in einer umfassenden Diagnostik und gezielten Förderung persönlicher Kompetenzen liegen.

Eine große Zahl persönlicher Kompetenzen wird durch EOS erfasst. Die Durchführung der EOS-Diagnostik erfordert das Beantworten von Fragen, die auf einem Computer-Bildschirm erscheinen. Die Untersuchung dauert ca. zwei Stunden. Die Fragen berühren keine »persönlichen« Inhalte, da es um Fähigkeiten und nicht um persönliche Vorlieben, Überzeugungen oder ähnliches geht. Eine seriöse Förderung persönlicher Kompetenzen verzichtet auf Vereinfachungsillusionen und erwartet von den Experten, dass sie zusammen mit allen Beteiligten möglichst einfache und umsetzbare Lösungsvorschläge erarbeiten. Genau auf dieses Ziel hin wurde EOS entwickelt.

In einem Pilotprojekt zur Förderung persönlicher Kompetenzen wurde an zwei Osnabrücker Gymnasien das EOS-System in den siebten Klassen zu Beginn des Schuljahres durchgeführt. Es wurde die Frage untersucht, ob persönliche Kompetenzen einen erkennbaren Einfluss auf die Schulleistung haben und ob dieser Einfluss unabhängig von dem in vielen Untersuchungen dokumentierten Zusammenhang zwischen allgemeiner Intelligenz und Schulleistung ist. Kuhl: »Diese Frage kann eindeutig bejaht werden: Der Einfluss persönlicher Kompetenzen auf die Schulleistung ist sogar größer als der Einfluss der allgemeinen Intelligenz.« Zu vergleichbaren Ergebnissen mit Differenzierung nach einzelnen Unterrichtsfächern kam auch das in Kooperation mit der Universität Köln durchgeführte Pilotprojekt »Begabungsförderung an der Gesamtschule Köln Holweide«. »Das sind gute Nachrichten, weil persönliche Kompetenzen leicht erlernbar sind, wenn entsprechende Trainingsprogramme eingesetzt werden«, so Kuhl.

Der Psychologe betont, dass die Erprobung des neuen Diagnosesystems noch längst nicht abgeschlossen ist. Als nächster Schritt ist geplant, ein solches System zu entwickeln, das schon im Grundschulalter einsetzbar ist. Damit ist die Hoffnung verbunden, durch den Einsatz speziell ausgebildeter Lehrer oder (Schul-) Psychologen so früh wie möglich Fehlentwicklungen vorbeugen zu können.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Julius Kuhl, Universität Osnabrück
Fachbereich Humanwissenschaften,
Seminarstraße 22, D- 49069 Osnabrück,
Tel. +49 541 969-4400; Fax +49 541 969-4788,
e-mail: jkuhl@uni-osnabrueck.de