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Pressemeldung

Nr. 114 / 2002

12. September 2002 : Klavierunterricht und Ziegenhüten: Was prägt die Biographie? - Universität Osnabrück untersucht Bildungsmilieus

Die wöchentliche Klavierstunde, der Kirchenbesuch am Sonntag, die tägliche Arbeit im Haushalt oder der Fabrik: Beispiele, die Prof. Dr. Hans-Rüdiger Müller heranzieht, um zu erläutern, wie die Bildung der Person fernab von Schule und Universität verläuft. Anhand von etwa 120 autobiographischen Texten erforscht der Wissenschaftler im Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück historische Bildungsmilieus von 1800 bis zur Gegenwart. Die in Kooperation mit der Universität Göttingen durchgeführte Studie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über weitere 2 Jahre mit insgesamt 160.000 Euro unterstützt.

"Hinter dem etwas komplizierten Titel "Ästhesiologische Komponenten von Bildungsmilieus" verstecken sich relativ erfahrungsnahe Sachverhalte", erläutert Müller sein Forschungsvorhaben: "Bildung wird zwar in den öffentlichen Debatten zumeist nur in Zusammenhang mit Institutionen wie Schule und Hochschule gesehen, aber jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass Bildung der eigenen Person mehr und anderes umfasst als nur Schulbildung". Den Wissenschaftlern geht es in erster Linie um die Frage, wie die Umwelt erfahren wird. Müller: "Diese Art Bildung beginnt bereits in der Familie". Selbst der regelmäßige Kirchgang habe eine für die Bildung der Menschen nicht unwichtige Bedeutung gehabt. Ähnliches gelte für die Klavierstunde im bürgerlichen Haushalt des 19. Jahrhunderts oder für die Beteiligung der Kinder an der Heimarbeit in einer proletarischen Familie. Der Pädagoge bezeichnet solche Beispiele als Erfahrungsfelder. "Diese Felder und ihr kultureller Sinn wandeln sich im Laufe der Geschichte, gerade diese Veränderungen möchten wir herausarbeiten".

Wie Erfahrungen im individuellen Bildungsprozess verarbeitet werden, lässt sich besonders gut an Autobiographien verfolgen, "weil hier das eigene Leben hautnah erzählt und zugleich als persönliche Bildungsgeschichte vorgestellt wird", so Müller. Unmittelbares Erleben und distanzierte Beschreibung greifen ineinander und repräsentieren die jeweiligen Wissensordnungen, mit denen die Welt und das eigene Leben gedeutet werden.

Insgesamt 120 Texte werden von Müller und seinen vier Kollegen aus Göttingen und Osnabrück verglichen. Darunter sowohl unbekannte als auch bekannte Autoren wie Karl Philipp Moritz, Emil Nolde und Marie von Ebner-Eschenbach. "Während die Untersuchung für den Zeitraum 1800 bis 1900 schon relativ weit fortgeschritten ist, soll in dieser Projektphase der Vergleich mit zeitgenössischen Autobiographien im Vordergrund stehen", erklärt der Erziehungwissenschaftler.

Informationen:
Prof. Dr. Hans-Rüdiger Müller, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften,
Universität Osnabrück, Heger-Tor-Wall 9, 49076 Osnabrück,
Tel. (0541) 969-4558/4699, Fax. (0541) 969-4561
e-mail: Ruediger.Mueller@Uni-Osnabrueck.DE: