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Pressemeldung

Nr. 221 / 2015

22. September 2015 : »Lieber sterben als zurück gehen«: Psychologiestudierende der Uni Osnabrück befragten Flüchtlinge

Wie erleben Geflüchtete aus dem Kosovo die Flucht und ihr Asylverfahren in Deutschland? Die Psychologiestudentinnen der Universität Osnabrück Verena Biskup, Gesa Duden, Maria Jaschick, Kathrin Sautter und Lucia Thumm haben zur Beantwortung dieser Frage Interviews mit Geflüchteten gemacht.

Die Untersuchung entstand im Rahmen des Seminars „Qualitative Methoden“ im Masterstudiengang „Interkulturelle Psychologie“ unter Leitung von apl. Prof. Dr. Dr. Josef Rogner. »Unser Ziel war es, den Geflüchteten Raum zu geben, ihre Perspektive auf die Fluchtgründe und das Asylverfahren in Deutschland darzustellen«, erklären die Studentinnen. Im Mai 2015 wandten sich einige Menschen, die in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bramsche-Hesepe lebten, an die flüchtlingspolitische Gruppe No Lager in Osnabrück. Sie berichteten von problematischen Zuständen in der Einrichtung und vor allem von drohenden Massenabschiebungen in den Kosovo. »Daraus ergab sich die Möglichkeit, mit mehreren Bewohnern Interviews zu führen, in denen sie ihre Lebenssituation im Kosovo beschrieben, die sie zur Flucht getrieben hatte, und ihre Lage in Deutschland.«

Die Interviews wurden in der Erstaufnahmeeinrichtung durchgeführt. »Mit der Zustimmung der Interviewten zeichneten wir die Interviews auf Tonband auf und transkribierten anschließend die Aufnahmen«, so die Arbeitsgruppe. Zunächst berichteten die Geflüchteten von den Lebensbedingungen im Kosovo, wobei sie klare Fluchtgründe benannten. Die Betroffenen gaben individuell sehr unterschiedliche und vielfältige Gründe an: von Arbeitslosigkeit und Korruption im Kosovo über politische Unterdrückung bis hin zu Auswirkungen des Konflikts zwischen Serben und Albanern, der noch immer andauere. Die Interviewten berichteten auch von Morddrohungen und Gewalt, die ihr Leben in Gefahr brachten.

Die Flucht wurde als letzter Ausweg betrachtet. Die Geflüchteten erzählten, wie sie für die Finanzierung der Flucht allen Besitz aufgeben und ihre Familie zurücklassen mussten. Der Fluchtweg selbst wurde erschwert durch körperliche Belastung sowie Kälte und Krankheit. Nicht alle Menschen überlebten den beschwerlichen Weg. Meist ging die Flucht zu Fuß über Ungarn. Von dort wurden schwere Menschenrechtsverletzungen berichtet, insbesondere in Gefangenschaft.  

Nach der risikoreichen Flucht wurde der Aufenthalt im Lager als ernüchternd empfunden. Der Lageralltag sei geprägt gewesen von Zusammenleben auf engstem Raum, unzureichender medizinischer Versorgung, mangelhafter Verpflegung, knappen Sozialleistungen und der Isolation von der Außenwelt. Vor allem jedoch wurde die Hoffnungslosigkeit dargestellt, die durch den Asylprozess entstand. Das lange Warten im Lager sei gekennzeichnet gewesen von Unsicherheit über den Ausgang des Verfahrens, das sich zunehmend als aussichtslos herausstellte. Zumeist mündete der Asylprozess in einen Ablehnungsbescheid und die Aufforderung zur sogenannten freiwilligen Ausreise.

Auf eine lange und schwere Flucht nach Deutschland und ein zermürbendes Asylverfahren folgte die schnelle Rückreise. Insgesamt zeigen die Interviews, wie stark der Leidensdruck der Flüchtlinge vor ihrer Flucht war. »Besser ich lasse mich hier vom Zug überrollen, als mich vor meinem Vater oder meiner Mutter [im Kosovo] töten zu lassen«, erklärte einer der Flüchtlinge. Für die Studierenden zeigt sich aus ihren Interviews vor allem eines: »Wir glauben, dass durch das beschleunigte Asylverfahren schutzbedürftige Menschen aus dem Kosovo keine Zuflucht mehr in Deutschland finden.« Die vorliegende Analyse macht deutlich, welche Faktoren das Erleben der Geflüchteten auf der Flucht und im Asylprozess beeinflussen. Weiterhin wurde ein systematischer Zusammenhang zwischen diesen Faktoren erkennbar. Dieser lässt sich als geschlossener Kreislauf beschreiben, der ausweglos wirkt. »Für uns als künftige Psychologinnen war es wichtig, durch persönliche Erfahrungen von Geflüchteten Vorurteile gegenüber sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen infrage zu stellen.«    

Weitere Informationen für die Redaktionen:
Apl. Prof. Dr. Josef Rogner, Universität Osnabrück
Fachbereich Humanwissenschaften
Knollstraße 15, 49076 Osnabrück
Tel. +49 541 969 4409
josef.rogner@uni-osnabrueck.de