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Pressemeldung

Nr. 89 / 2019

24. Mai 2019 : Schildkröten auf dem Speiseplan - Uni Osnabrück federführend beteiligt an Studie über freilebende Schimpansen

Ein internationales Forscherteam von der Universität Osnabrück und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat im Loango Nationalpark, Gabun, erstmalig freilebende Schimpansen beim Verzehr von Schildkröten beobachtet. Die Forscher dokumentieren Beobachtungen dieses möglicherweise kulturellen Verhaltens, bei dem Schimpansen Schildkröten gegen Baumstämme schlagen, um so ihre Panzer aufbrechen und sich dann von ihrem Fleisch zu ernähren.

Schimpanse frisst Schildkröte Großansicht öffnen

© Foto: Erwan Theleste

Können Schimpansen zukunftsorientiert handeln? Neue Erkenntnisse legen dies nahe.

"Wir wissen bereits seit Jahrzehnten, dass der Speiseplan von Schimpansen viele verschiedene Tierarten beinhaltet, doch bisher wurden sie noch nicht beim Verzehr von Reptilien beobachtet", sagt Prof. Dr. Simone Pika, Leiterin der neuen Arbeitsgruppe Vergleichende Kognitionsbiologie am Institut für Kognitionswissenschaft. "Besonders interessant ist, dass die Schimpansen – um an das Fleisch einer Tierart zu kommen, das für andere Raubtiere kaum zugänglich ist – eine Schlagtechnik anwenden, die sie normalerweise zum Öffnen äußerst hartschaliger Früchte verwenden.“

Die Forscher untersuchten das Verhalten von Schimpansen der neu habituierten Rekambo-Gruppe. Dabei beobachteten sie, dass zehn verschiedene Schimpansen, vorwiegend erwachsene Männchen, insgesamt 38 Schildkröten erbeuteten. Dieses Verhalten wurde nur in der Trockenzeit beobachtet, in der andere Lieblingsspeisen, wie zum Beispiel Früchte, ebenfalls vorhanden sind. "Manchmal konnten jüngere Tiere oder Weibchen die Schildkröte nicht selber aufbrechen. Sie gaben sie dann für gewöhnlich an ein stärkeres Männchen weiter, welches den Schildkrötenpanzer aufschlug und das Fleisch mit allen anderen anwesenden Schimpansen teilte", sagt Dr. Tobias Deschner, Primatologe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Eine besondere Beobachtung machten die Forscher, als ein einzelnes erwachsenes Männchen den Panzer einer Schildkröte aufbrach, eine Hälfte des Fleisches in einem Baum sitzend verzehrte und anschließend die andere Hälfte in eine Astgabel klemmte. Er kletterte den Baum herunter, baute sein Schlafnest in einem nahegelegenen Baum und kehrte am nächsten Morgen zurück, um die Reste seines Abendessens zum Frühstück zu verspeisen. "Das deutet darauf hin, dass Schimpansen für die Zukunft planen können", sagt Pika. "Die Fähigkeit, für einen in der Zukunft liegenden Zustand oder ein Bedürfnis – wie zum Beispiel Hunger – vorzuplanen, konnte bisher vorwiegend nur bei Tieren nachgewiesen werden, die in menschlicher Obhut leben. Viele Wissenschaftler glauben immer noch, dass zukunftsorientiertes Denken eine Fähigkeit ist, über die nur der Mensch verfügt. Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass wir auch nach jahrzehntelanger Forschung noch nicht die volle Komplexität der Intelligenz und Verhaltensflexibilität von Schimpansen erfasst haben".

Deschner fügt hinzu: "Das Verhalten freilebender Schimpansen wird nun seit über 50 Jahren in mehr als zehn Langzeit-Feldforschungsstätten über das gesamte tropische Afrika untersucht. Es ist faszinierend, dass wir trotzdem immer wieder ganz neue Verhaltensweisen und -facetten dieser Art entdecken, sobald wir eine neue Population zu erforschen beginnen.“

Die Autoren betonen außerdem, wie wichtig Beobachtungen des natürlichen Verhaltens nicht-menschlicher Primaten auch im Rahmen von Theorien zur Evolution der Homininen sind. "Das Verhalten der Schimpansen, neben Bonobos unsere nächsten lebenden Verwandten, können wir als Fenster verwenden, um zurück auf die Geschichte und Evolution unserer eigenen Art zu blicken und diese besser verstehen zu können“, sagt Pika. „Damit sich dieses Fenster nicht ein für alle Mal schließt, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das Überleben dieser faszinierenden Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen in ganz Afrika zu sichern", schließt Deschner.

Zum Artikel: DOI : 10.1038/s41598-019-43301-8

Weitere Informationen für die Redaktionen:
Prof. Dr. Simone Pika, Universität Osnabrück
Institut für Kognitionswissenschaft
Artilleriestraße 34, 49076 Osnabrück
Tel: +49 541 969 2721
E-Mail: spika@uni-osnabrueck.de