Sühneleistungsverordnung

Am 12.11.1938 erließ Generalfeldmarschall Hermann Göring, der eine Generalvollmacht zum Erlass von Rechtsordnungen innehatte, die Verordnung über eine Sühneleistung der Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit. Diese Verordnung war zentraler Bestandteil der anti-jüdischen Gesetzgebung der Nationalsozialisten. Sie sah eine Kontributionszahlung an den Staat in Höhe von einer Milliarde Reichsmark vor, wobei jeder Jude individuell abgabepflichtig war.

Gemäß der Durchführungsverordnung sollte die Kontribution entsprechend dem Vermögen der jüdischen Bürger verteilt werden, der Gesamtbetrag wurde also jedem Zahlungspflichtigen anteilig nach Leistungsfähigkeit auferlegt. Als Voraussetzung für die „Judenvermögensabgabe“ galt ein Mindesteinkommen von 5000 Reichsmark.

Die Pflicht erstreckte sich auf alle Juden, die der Hoheitsgewalt des deutschen Staates unterworfen waren, unabhängig davon, ob sie einen Wohnsitz im deutschen Reich hatten. Im Deutschen Reich ansässige Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit waren von der Sühneleistungsverordnung nicht erfasst.

Die Sühneleistungsverordnung sah vor, dass das Vermögen der Juden im Einklang mit dem deutschen Gemeinwohl verwendet würde. Die Befugnis hierfür leiteten die Nationalsozialisten aus Art. 153, S. 2, 5, 6 WRV ab. Dass der Staat eingreifen müsse, wurde durch eine „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich“ begründet. Diese solle sich durch den Mord an Ernst Eduard vom Rath, einem deutschen Botschaftsangestellten, durch einen polnischen Juden in Paris gezeigt haben. Das tatsächliche Motiv war jedoch die bevorstehende Zahlungsunfähigkeit und damit der drohende Staatsbankrott des Reiches, denn der Regierung fehlten 2 Milliarden Reichsmark. Als neue Einnahmequelle wurde daher willkürlich die Zahlungspflicht der Juden geschaffen.

Im Laufe eines Dreivierteljahres mussten die betroffenen Juden 20% ihres Vermögens an den Staat überweisen. Dies hatte in vier Teilbeträgen und ohne weitere Aufforderungen zu geschehen. Erhoben wurden die Zahlungen von den jeweils zuständigen Finanzämtern. Die Zahlung war einen Tag nach der Veröffentlichung der Durchführungsverordnung im Reichsgesetzblatt, also am 23.11.1938, fällig. Ein Abgabepflichtiger, der sich seiner Abgabepflicht entzog oder sich nicht gerechtfertigte Vorteile erschlichen hatte, war gem. § 396 AO wegen Hinterziehung der „Judenvermögensabgabe“ strafbar.

Auch Juden, die während der Novemberprogrome in Konzentrationslager gebracht worden waren, wurden zu den Zahlungen aufgefordert, die ihnen jedoch nicht möglich waren. Ihnen wurde eine Scheinentscheidung unterbreitet, dass sie zwischen der Zahlung oder weiterer KZ-Haft wählen könnten.

An der Einhaltung des steuerrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzips zumindest bei Nicht-Häftlingen und der Rechtsform einer gewöhnlichen Abgabe zeigt sich, wie die Nationalsozialisten ihr Unrecht durch seine formelle Ordnungsmäßigkeit legitimieren wollten. Jede der genannten Bestimmungen erfolgte stets mit Angabe der zugrundeliegenden Kompetenz und Ermächtigung.

Nach Kriegsbeginn wurde die Maßnahme mit einer Abgabe von 25% wiederholt. Dabei betonten die Nationalsozialisten bezüglich dieser, aber auch anderer Maßnahmen und Enteignungen der jüdischen Deutschen und Österreicher, immer wieder, dass das Vermögen lediglich einen Auswanderungsanreiz bieten solle. Sie verschleierten dabei, dass die eingenommenen 1.126.612.495 Reichsmark den Krieg finanzierten. Die Vermögenswerte der Juden wurden in Kriegsanleihen umgewandelt und die Juden somit zu Gläubigern dieser Anleihen, von denen jedoch viele in Vernichtungslagern gestorben waren, bevor sie ihr Geld zurückfordern konnten.

Take-away

  • Verpflichtung zu einer Vermögensabgabe aller Juden i.H.v. 1 Mrd. Reichsmark
  • nicht anderweitig legitimierter Erlass durch Göring als Beauftragter für die Durchführung des Vierjahresplans
  • Einhaltung der formellen Grundsätze der Gesetzgebung, um materielle Illegitimität zu verdecken

Quellen

  • Susanne Heim, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Band 2, Deutsches Reich 1938 – August 1939, München 2009, Dokument Nr. 247, S. 667-670, 673, 677.
  • Götz Aly, Hitlers Volksstaat: Raub, Rassen und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2013, S. 60 ff., 222, 314.
  • Reiner Sahm, Von der Aufruhrsteuer bis zum Zehnten: Fiskalische Raffinessen aus 5000 Jahren, 3. Aufl., Berlin 2022, S. 44 ff.

Verfasserinnen

Lucia Adams, Emilia Allroggen, Lilly Kastner, Diana Krüger